Köln. Auch für Ballauf und Schenk gibt es im 82. Fall noch Neues zu entdecken: Im Kölner „Tatort: Der Reiz des Bösen“ verfallen Frauen Häftlingen.
Psychokiller Charles Manson hatte Waschkörbe voller Liebesbriefe in seiner Zelle. Wie kann es sein, dass Frauen sich in einen Schwerverbrecher vergucken, denkt man vermutlich spontan, aber sowas kommt eben vor, und der Kölner „Tatort: Der Reiz des Bösen“ liefert prompt den Fachbegriff: Hybristophilie. Der wird freilich wie so oft bei der Kölner Reihe etwas volkshochschulhaft eingeführt, aber die wichtigere Frage sei gleich an dieser Stelle beantwortet: Arne Nolting (Drehbuch) und Jan Martin Scharf (Regie) servieren einen durchaus spannenden und originell konstruierten Thriller.
Die Krankenschwester wird mit Messerstichen getötet
Die Krankenschwester, die zu Beginn auf einem Parkplatz von einem Kapuzenmann mit Kopfhörern mit zehn, zwölf Messerstichen getötet wird, hatte gerade erst einen Gewalttäter geheiratet, der seine Strafe abgesessen hat. Dieser jähzornige Tarek (Sahin Eryilmaz) drischt schon mal auf den Tisch ein und schreit gerne rum, sein Alibi stimmt nicht, und man kann den alten Ermittler-Buddies Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) kaum vorwerfen, dass sie diesen bullig-aggressiven Burschen erstmal verdächtig finden.
Bei ihrem schluffigen Assistenten Jütte (Ronald Riebeling) kriecht derweil im Kommissariat eine Schnecke über die Computer-Tastatur, man hat schon subtilere Anspielungen gesehen. Aber diese Folge befreit ihn aus dem Universum der Stichwortgeber, denn Jütte erkennt Parallelen zu einem alten Fall aus seiner Vor-Kölner-Zeit und ermittelt plötzlich mit.
Der frisch entlassene Häftling boxt den kleinen Jungen in den Magen
Während die drei nun den Killer jagen, erzählt „Der Reiz des Bösen“ von einer alleinerziehenden Mutter (Picco von Groote), die sich einen frisch entlassenen Häftling (Torben Liebrecht) nach Hause holt. Der verströmt von Beginn an Unheil (Musik!) und boxt ihrem kleinen Sohn auch mal ansatzlos in den Magen, wenn Mama nicht in der Nähe ist: „Und wehe, Du weinst!“.
Ein bisschen klischeehaft ist das schon, die liebe und weltfremde Frau, deren romantische Träumerei nun auf die Wirklichkeit prallt, und der brutale Knacki, dessen Rückfälle sich nicht erst andeuten, wenn er während des Abendessens einfach die Kippe im Mund lässt.
Die Frau muss sich zwischen Kind und Liebhaber entscheiden
Und doch gelingen Jan Martin Scharf beklemmende Momente im Innenverhältnis der drei – zugespitzt in den Situationen, in denen die Mutter sich im Grunde zwischen dem kleinen Jungen und ihrem Liebhaber entscheiden muss. Da braucht es nicht einmal Ali Askins Thriller-Getrommel, um die Intensität des Augenblicks in diesem Familiendrama zu unterstreichen. Felix Novo de Oliveiras agile Kamera hält direkt in die Gesichter, in denen sich Sorgen, Angst oder rücksichtslose Entschlossenheit spiegeln.
Schenk und Ballauf im Ferrari-Cabrio mit Blaulicht
Wie Scharf die Geschichte nun mit der Suche nach dem Mörder verknüpft, der es offenbar auf Frauen abgesehen hat, die mit Verbrechern liiert sind – das ist einer der gelungensten Regie-Kniffe, die man im „Tatort“ bisher erlebt hat. Und wer noch nie ein altes rotes Ferrari-Cabriolet mit Blaulicht gesehen hat, auch sowas gibt’s, wenn Freddy Schenk am Steuer sitzt.