Essen. Vor 20 Jahren fiel die Mauer. Die Mauer im Kopf jedoch blieb vielerorts bestehen. „Jenseits der Mauer” (heute, ARD, 20.15 Uhr) kann helfen, sie einzureißen. Der Film von Regisseur Friedemann Fromm zeigt Leid hinter Leitartikeln, verwandelt Typen in Charaktere.
Fromm verwandelt das Drama der deutsch-deutschen Geschichte in eine dramatische Geschichte. Er hat sich schon vor längerem in die erste Reihe deutscher TV-Regisseure vorgearbeitet. Seit geraumer Zeit emotionalisiert der 46-jährige Schwabe Zeitgeschichte – mit derartigem Erfolg, dass sein ZDF-Dreiteiler „Die Wölfe” zu den Abräumern beim Deutschen Fernsehpreis gehörte.
Wahl zwischen Pest und Cholera
Gleich mit der Einstiegsszene macht Fromm klar, wie beklemmend spannend Grenz-Erfahrungen inszeniert werden können. Eine harmlose Frage eines vorgeblich aus Hamburg stammenden Ehepaars (Edgar Selge, Katja Flint) an der einstigen DDR-Grenze eskaliert. Der Vater versucht mit quietschenden Reifen zu fliehen. Schüsse fallen, er wird gestoppt – und im Kofferraum des Wagens finden Grenzer die beiden Kinder des Ehepaars, einen Jungen, ein Mädchen.
Das Gericht lässt dem Luftfahrt-Ingenieur und seiner Gattin die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera: Ob Ausweisung oder nicht – in jedem Fall droht ihnen die Zwangsadoption mindestens eines der beiden Kinder. Das Paar entscheidet sich für eine Ausreise nach Berlin. Seine Tochter muss ins Kinderheim. Kurz darauf wird sie von einem Leipziger Stasi-Ehepaar adoptiert. Mit der neuen Familie erhält sie einen neuen Namen: Rebecca (Henriette Confurius).
Keine Helden in Sicht
Fromm konzentriert seine Geschichte auf das Jahr 1989, wenige Monate vor der Grenzöffnung. Das erlaubt ihm und seinem Drehbuch-Autor Holger Karsten Schmidt die Widersprüche seiner Figuren herauszuarbeiten. Das im Westen lebende Ost-Paar lässt sich zu Spionage pressen – aus Angst, die Tochter für immer zu verlieren.
Der Stasi-Offizier (Herbert Knaup) und seine Frau (Ulrike Krumbiegel) tragen im Familienkreis beispielhaft die Konflikte aus, die die DDR-Gesellschaft aushalten musste – zwischen Prinzipientreue und Konsumlust, Heimatverbundenheit und Freiheitsdrang. Mittendrin: die pubertierende Tochter, hin- und hergerissen zwischen zuweilen klischeehaft gezeichneten Jungmännern aus Ost und West. Nebensache.
Den 90-Minüter zeichnet aus, dass er keine Helden präsentiert. Eher erweisen sich die Figuren in dem hervorragend besetzten Ensemble-Film als Helden wider Willen, die dem tristen, ja bedrohlichen Alltag Kompromisse abtrotzen, auch schäbige.
Schließlich fällt der Eiserne Vorhang, und mit der Wiedervereinigung geht auch die Vereinigung der Ingenieursfamilie einher. Dennoch bleibt Fromm in Sachen Schmalz jenseits der Grenze.