Borowski-Tatort als Seelen-Striptease eines Mörders
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Kiel.. Im neuen Borowski-Tatort erfährt der Zuschauer schnell, wer der Täter ist. Sehr akkurat setzt Regisseur Christian Alvart die Visionen seines Autors um. Und dennoch bleibt der Krimi bis zur allerletzten Minute spannend. Denn der Zuschauer lernt die menschlichen Defizite der Hauptfigur kennen.
Geschossen wird in diesem außergewöhnlichen „Tatort – Borowski und der stille Gast“ (ARD, Sonntag, 9.9.2012, 20.15 Uhr) nur einmal: Als Borowskis (Axel Milberg) altersschwacher Passat zum wiederholten Mal den Geist aufgibt und der Motor bedrohlich vor sich hinqualmt, streichelt ihm der Kommissar noch einmal wehmütig über das Armaturenbrett, steigt aus und versetzt dem Wagen kurz darauf den finalen Schuss. Mitten in die Motorhaube. Das war’s mit der Schießerei in diesem Krimi, der mal wieder erfrischend unkonventionell daherkommt.
Lars Eidinger wird als Täter früh entlarvt
Okay, ganz neu ist die Erzählstruktur nicht. Zum vierten Mal hat der NDR-Drehbuchautor Sascha Arango für einen „Tatort“ verpflichtet. Und Arango baut seine Spannungsbögen bekanntlich gerne etwas anders auf. Der Zuschauer erfährt sehr schnell, wer der Mörder ist. Wer bei Carmen Kessler „einfach durch die Wand kommt“ und die junge Frau ermordet hat.
„Mich interessiert, wer der Täter als Charakter ist“, sagt Arango. Als Zuschauer wolle er erleben, wie seine Konflikte aussehen. „Was tut er, um seiner Entdeckung zu entgehen“, nennt Arango seine Motivation, eine Geschichte so zu erzählen. Das Vorhaben geht auf. Sein Täter Kai Korthals (Lars Eidinger) wird bereits in einer der ersten Szenen als solcher entlarvt.
Als er nach dem Mord an Carmen Kessler in der Wohnung der Freizeitprostituierten Roswitha Kranz (Peri Baumeister) auftaucht, ihre Post öffnet und das alleingelassene Kind bespaßt.
Beziehungsunfähiger sucht Beziehung
Eidinger spielt die Rolle des psychisch Verstörten genial. Er will nicht töten. Er, der Vereinsamte, sucht eigentlich nur Nähe, will eine Beziehung zu den Frauen und ist doch beziehungsunfähig. Er stottert, wenn er ihnen gegenübersteht, weint, wenn er sich falsch verstanden fühlt.
40 Jahre Tatort
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Trotz dieser Unsicherheit nimmt er ganz selbstsicher in Besitz, was seinen Angebeteten gehört. Schnuppert an herumstehenden Schuhen, lutscht an liegengelassenen Brezeln, benutzt ihre Zahnbürsten. Er besitzt ein großes Repertoire an menschlichen Defiziten. Arango lässt den Betrachter in Abgründe blicken, die – ohne Blut und Gewalt – ein hohes Ekelpotenzial enthalten.
Kieler Tatort überhaupt nicht langweilig
Sehr akkurat setzt Regisseur Christian Alvart die Visionen seines Autors um. Und obwohl der Mörder für den Zuschauer – nicht für den Kommissar Borowski und seine Kollegin Sarah Brandt (Sibell Kekilli) – so früh enttarnt wird, werden die 90 Minuten dank des ausgezeichneten Seelen-Striptease dieser Geschichte nicht in einer Sekunde langweilig.
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