Essen. Die meisten Jahre meines Lebens wurden von der Schallplatte begleitet. Auch heute noch suche ich auf Flohmärkten die schönsten Schätze auf Vinyl.

Die Schallplatte hat derart intensiv meine popkulturelle Sozialisation begleitet und beeinflusst, dass ich mir ein Leben ohne überhaupt nicht vorstellen kann. Angefangen hat fast alles mit den Ausläufern der Beat-Ära, setzte sich fort mit den Schallplatten-und-Matratzen-Parties im Jugendheim sowie mit dem Glam-Rock-Verbot in der Oberstufe und endete zunächst in der Marianne-Rosenberg-Artschool-Phase.

Das In und Out in unseren Cliquen definierte sich über den Besitz und über die Kenntnisse der wichtigsten Scheiben, und an denen haben wir ausgiebig gefeilt. Falsche Turnschuhe oder falsche Frisuren gab es - im Gegensatz zu heute - damals noch nicht. Aber mit der falschen Platte am falschen Ort durfte man nicht auftauchen - das Woodstock-Album bedeutete zum Beispiel bei den Tanzschülern (und insbesondere bei den Tanzschülerinnen) das sichere Aus. Auf den Exkurs über den Einfluss der Schallplatte auf das Sexualleben der Jugendlichen muss ich aus Platzgründen leider verzichten.

Punk und Disco

Gegen Ende der 70er Jahre setzten dann Punk und Disco nicht nur neue Maßstäbe in den Bewegungsabläufen auf den Tanzflächen, sondern brachten auch eine neue Ästhetik (wenn nicht sogar zwei Ästhetiken) in den Plattenschrank - was digitalisierte Musik nie wird leisten können: Die 12" (zu Deutsch: Maxi-Single) mit speziellen und meist längeren Versionen sowie Kleinstauflagen von LPs und Singles mit selbstgemachten Covern.

In den nächsten Jahren wurden die Herausforderungen für Sammler spezieller, New Wave und Neue Deutsche Welle noch nicht einmal dazu gerechnet - ich habe mich ihnen gern gestellt. Einen Teil der Probleme ließen sich (in diesen komischen internetlosen Jahren) durch ein Abonnement von Fachzeitschriften wie Oldie-Markt, Record Collector oder Spiral Scratch lösen. Schwieriger war nur die Suche nach einem passenden Aufbewahrungsmöbel, bei dem man einige Schallplatten mit ihrer Vorderansicht komplett zu sehen sind: Wer Platten liebt, will schließlich auch die Covergestaltung genießen können.

MP3-Player? Kommt mir nicht ins Ohr

Ein solches Möbel ist gefunden, und so stehen heute unter dem Plattenspieler im Wohnzimmer zwei LPs mit hübschen Schwarz-Weiß-Covern nebeneinander. Die Namensfindung für unsere Tochter war dagegen wieder leicht - wir haben einfach den Namen der Sängerin mit den meisten Schallplatten in unserer Sammlung genommen.

Schallplatten abspielen, hören, erwerben und aufbewahren wird immer Arbeit sein und einen nicht unbeträchtlichen Zeit- und Platzaufwand erfordern - gebe ich gerne her. In den 80er Jahren begann mit der CD der Tonträger-Marsch durch die Minimalisierung. Es ist ein langer Weg von den Langspielplatten mit üppigen Aufklappcovern bis hin zum rasch mal heruntergeladenen 99-Cent-Song ohne Hülle, der in einem Knopf im Ohr endet. Diesen Weg gehe ich nicht mit. Ich besitze keinen MP3-Player.