Köln. Mit 30 wagt Pete Doherty einen Neuanfang, veröffentlicht sein lange erwartetes Solo-Album "Grace/Wasteland", ändert seinen Vornamen in Peter und hat nach eigenen Angaben in Paris "Bescheidenheit und Stärke" wiedergefunden. Eine Annäherung an den liebsten Prügelknaben der Boulevardprese.

Aus Pete wird Peter. (c) ddp
Aus Pete wird Peter. (c) ddp © ddp

Über was in aller Welt will man mit Pete Doherty sprechen? Glaubt man der englischen Boulevardpresse, könnte deren liebster Prügelknabe garantiert viel über Spritzbestecke, Gerichtsverhandlungen und Entzug erzählen. Ihn aber auf sein Solo-Debütalbum "Grace/Wastelands" anzusprechen, traut man sich schon aus Gründen der Pietät und des Mitgefühls nicht. Oder besitzt er vielleicht gar nicht so wenig Sozialkompetenz, wie es immer heißt?

Dohertys Publizisten und Plattenfirma arbeiten jedenfalls mit Vehemenz an der Korrektur des Bildes, das man bislang von ihrem Klienten und Künstler haben konnte. Auch wenn sich die lächerlicherweise vordergründig erstmal nur in der vollen Schreibweise seines Vornamens zeigt. Als ob es einen Unterschied macht, ob er sich Pete oder Peter nennt! Nun gut, ab sofort ist Mr. Doherty als Peter anzusprechen. Peter Doherty ist seit dem 12. März 30 Jahre alt und startet just seine Solokarriere mit einer Ausstellung seiner Kunstwerke in seiner Wahlheimat Paris, einem ausverkauften Solokonzert in der Londoner Royal Albert Hall und "Grace/Wastelands", das unter der Produzentenregie von Stephen Street entstand.

Bescheidenheit und Stärke

"Ein Karrieremeilenstein", schwärmt seine Plattenfirma, während die Platte für Doherty erstmal nur "part of the deal" ist. Er sei vertraglich verpflichtet, zwei Alben mit seiner Band Babyshambles und eins als Solist abzuliefern, sagt er. Einen Hinweis für diese scheinbare Lustlosigkeit liefert ein Blick auf die Songs des Albums. "Sweet By And By" kennen Doherty-Fans schon seit Jahren als Demo-Dreingabe von diversen Bootlegs und halboffiziell gestreuten Tapes ihres Helden.

Tatsächlich war Doherty aber viel kreativer im letzten Jahr, als es die vielen inzwischen fertig gestellten, jahrelang nur in Demoform existenten Songs von "Grace/Wastelands" vermuten lassen. Im Gegensatz zu seiner Schlagzeilenkonkurrentin Amy Winehouse schafft er es immerhin, Alben aufzunehmen. Richtig gute sogar. Ex-Blur-Gitarrist Graham Coxon sprang Doherty bei seinem Solowerk zur Seite und war laut Doherty, "vermutlich öfter dafür im Studio als ich selbst". Von Coxons Gitarrenarbeit leben praktisch sämtliche Songs und Doherty bebt förmlich vor Lobgesang, wenn er über Coxon redet.

"Graham brachte mir viele Gitarrentricks bei. Aber die wichtigste Lektion von ihm war mein plötzlich gefundenes Verständnis von Bescheidenheit und Stärke, mit denen man Widrigkeiten trotzen kann", sagte Doherty. Markiert "Grace/Wastelands" also tatsächlich die Wiedergeburt des Kreativkopfs Doherty? Das Album lässt zumindest hoffen. Die Single "Last Of The English Roses" verbindet Punk und Poesie mit geradezu federleichter Nonchalance, während "New Love Grows On Trees" vor emotionaler Intensität zu bersten droht.

Abkehr von der Selbstzerstörung

Bei Peter Doherty bricht die neue Bescheidenheit aus. (c) ddp
Bei Peter Doherty bricht die neue Bescheidenheit aus. (c) ddp © ddp

Klar ist jedenfalls, dass hier keiner am Werk ist, der weiterhin an der Selbstzerstörung arbeitet. Wenn schon, dann arbeitet Doherty viel mehr an der Zerstörung der Karikatur seiner selbst. Geholfen habe ihm dabei Paris, erzählt er. "Während des Entzugs wurde mir mangelndes Selbstbewusstsein attestiert, was ich zunächst nicht einsehen wollte. Mehr und mehr wurde mir aber klar, dass die öffentliche Wahrnehmung meiner Person in England zum Teil von mir selbst geprägt worden war. Ich misstraute nämlich tatsächlich jedem, der mir sagte, wie viel ihm meine Songs bedeuteten, was ganz eindeutig mit mangelndem Selbstbewusstsein zu erklären ist. Hier in Paris lebe ich relativ unerkannt, was der Neudefinition meines Selbstverständnisses dienlich ist."

Doherty weist ausdrücklich darauf hin, dass seine Soloexkursionen keineswegs das Ende der Babyshambles markieren sollen. "Die Jungs aus der Band reagieren total cool auf meine Solosachen und sie sind ja auch auf einigen Songs zu hören. Zudem arbeiten zurzeit alle an eigenen Projekten und wenn die Zeit reif ist oder der Hunger groß wird, werden sie sowieso wieder zur Mama ins Nest zurückgeflogen kommen."

Eine herrlich krude Analogie, wenn man bedenkt, dass die "Mutter", wie sich Doherty nennt, in den letzten Jahren als wenig zurechnungsfähig porträtiert wurde. Wenn er die ersten 30 Jahre seines Lebens Revue passieren lässt, mag ihm zwar nicht jede Episode gefallen haben, aber die missverstandene, sensible Künstlerseele Pete Doherty ist er ganz sicher auch nicht, wie er klarstellt. "In den ersten Jahren meines Lebens tat ich all das, was man halt als Kind tut. Man lernt aufrecht zu gehen und sprechen und lesen zu können. Danach begann eine Phase der Selbstdefinition und der folgte eine Periode des Extremlebens. Ob ich glücklich mit meiner Entwicklung bin? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass ich jetzt mit 30 ein Kapitel meines Lebens schließen kann ohne das Gefühl zu haben, dass ich etwas verpasst hätte." Und was hat es letztlich mit der vollen Schreibweise seines Vornamens auf sich? "Die bedeutet nichts, außer dass ich im Erwachsenwerden begriffen bin." Was das bei einem wie ihm bedeutet, wird er uns ziemlich sicher wissen lassen. (AP)

Mehr zum Thema: