Es ist vielleicht nicht originell, Madonna als die Queen of Pop zu bezeichnen. Titel dieser Art wecken Misstrauen, und das umso mehr, als weite Teile des Medienbetriebs völlig undifferenziert mit Superlativen um sich werfen. Aber Madonna, die sich immer wieder neu erfindet, ist tatsächlich eine Kategorie für sich.
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Erst war alles „Super-“, dann kam „Mega-“ – und inzwischen taucht fast jeder, der irgendwann einmal sein Gesicht in eine Kamera gehalten hat, in irgendeiner Berichterstattung als „Ikone“ auf. Was das mit Madonna zu tun hat? Viel. Falls Madonna nämlich den Maßstab für diese Kategorien bestimmt, zeigt sich rasch, dass viele andere Leute dort nichts zu suchen haben.
2005 war eines ihrer großen Jahre. Nachdem 2003 ihr Album „American Life“ mit missglückten Rap-Versuchen und einer sperrigen Kombination aus Akustikgitarren- und Electro-Pop den Eindruck erweckt hatte, Madonna sei der Verkauf von Platten nicht mehr so wichtig, war „Confessions on a dancefloor“ zwei Jahre später der Gegenschlag. Der tiefe, dunkle Disco-Sound wirkte wie eine Rückbesinnung auf bewährte Stärken, wie ein energisches „Ich hab’s noch drauf!“.
Madonna lieferte zwölf Nummern reinrassigen, tanzbaren Pop ab. Um den Club-Charakter zu betonen, gingen die Tracks fließend ineinander über. Das Album erreichte in 29 Ländern die Spitze der Charts, die erste Single „Hung up“ mit den Samples aus Abbas „Gimme! Gimme! Gimme!“ war in 41 Ländern Nummer 1. Madonnas Confessions-Tour mit Konzerten in Düsseldorf und Hannover zeigte sie in Höchstform.
Kritiker werfen ihr Kalkül vor, Fans loben ihre Wandlungsfähigkeit
1982, als ein blondiertes Mädchen mit dünner Stimme die Disconummer „Everybody“ veröffentlichte, deutete nichts die große Karriere an. „Holiday“ war zwei Jahre später ein erster Hit, aber keine Revolution, damals noch kein Hinweis auf dauerhaft tragfähige Substanz. Rückblickend vielleicht schon. Madonna hat über fast 30 Jahre hinweg ein gutes Gespür bewiesen, jeder Zeit Lieder und Ausdrucksformen zu geben, die dazu passten. Sie lag selten daneben.
Kritiker werfen ihr Kalkül vor, Fans loben ihre Wandlungsfähigkeit. Die Kritiker haben sicher Recht: Jeder Schritt, jedes Wort scheint kalkuliert und kontrolliert. Doch einerseits ist Kalkül im Music-Business kein Makel. Andererseits ist Erfolg nur bedingt planbar, schon gar nicht über Jahrzehnte. Ohne starke Substanz läuft langfristig nichts. Madonnas Stärke ist die Fähigkeit, jeden ihrer Imagewechsel und fast jeden musikalischen Haken als Teil ihrer Persönlichkeit glaubhaft zu vermitteln.
Sie war Disco-Mieze und Marilyn, war Domina und Cowgirl, war hochgeschlossen und nackt, gab sich einsam und verletzt, doch auch stark und aggressiv. Ihre Fangemeinde feiert sie dafür, dass sie in keine Schublade passt. Dabei rückt aus dem Blick, dass Madonna die Schublade des ständigen Wechsels für sich gepachtet hat.
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Sie beherrscht die popkulturelle Technik schlechthin, das Sampling, in Perfektion: Sie greift Elemente auf, die es bereits gibt, kombiniert diese mit ihrer eigenen Person und vermittelt so Authentizität; eine Kernqualität jedes Superstars.
Ihre Botschaften sind dabei eine Konstante. Sie steht seit ihren Anfängen für Selbstbewusstsein, für das Aufbrechen der Geschlechterrollen und für Gleichberechtigung. Dass explizit zur Schau getragene Sexualität über weite Phasen eines der prominentesten Ausdrucksmittel war, brachte ihr den Ruf als Effekthascherin ein, die nur um der Provokation willen aus der Skandalhüfte feuert. Ihre knapp am Porno vorbeigeschrammten Videos zu „Justify my love“ von 1990 oder „Erotica“ von 1992 wurden nicht umsonst ins Nachtprogramm verbannt.
Echte Tabubrüche waren sie aber nicht, sondern Ausdruck des Zeitgeists. Bisexualität, Sadomasochismus und freie Liebe waren zu Beginn der 90er keine Tabus mehr.
Weil Sex extrem ins Auge sticht, geraten andere Botschaften oft in den Hintergrund - wie ihr Eintreten gegen Rassismus und Diskriminierung. Ihre Botschaft, dass Menschen nicht nach Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung beurteilt werden dürfen, hat sie zu einem Sprachrohr gemacht, zu einer Symbolfigur etwa für die Frauenbewegung und die schwule Community.
Das Jahr 2005 war ein weiterer Beweis dafür, dass Madonna immer wieder an die Chart-Spitze zurückfindet. Sie verteidigte ihren Thron gegen Britney Spears und Christina Aguilera, gegen Shakira und Pink. Doch der Kampf wirkt angestrengter.
Die absurde Akrobatik, die Madonna seit dem „Confessions“-Album in Videos und bei Life-Auftritten abspult, erscheint als Selbstzweck. Als ginge es darum, durch Turnübungen jüngere Künstler alt aussehen zu lassen, auch wenn sie sich mit diesen gar nicht messen müsste.
Madonna - am 16. August 1958 im US-Bundesstaat Michigan als Madonna Louise Ciccone geboren - wird mit ihrer Musik, ihren Botschaften und ihren Bildern schließlich immer zu den Persönlichkeiten gehören, die für uns fest mit den 80ern, den 90ern und dem Anfang des neuen Jahrtausends verbunden sind.
Sie ist die Queen of Pop, und eine echte Königin wird Wege finden, noch lange in Amt und Würden zu bleiben - oder ihren Thron würdevoll abzugeben.
Die Charts des Jahres:
Die Fußball-WM in Deutschland prägt 2006 auch die Charts. An der Spitze das offizielle WM-Lied eines französischen DJs mit einem jamaikanischen Reggae-Sänger, die sich hinter einem hosenlosen Löwen verstecken. Herbert Grönemeyer schafft es mit der offiziellen WM-Hymne auf Platz sechs. Die Sportfreunde Stiller stehen nur einen Rang höher, sind mit „54, 74, 90, 2006“ in den Stadien aber die gefühlte Nummer eins. Für Texas Lightning reicht es beim Grand Prix in Athen nur zu Platz 15.
1.Goleo / Bob Sinclar: Love Generation
2.Texas Lightning: No No Never
3.Shakira: Hips Don’t Lie
4.Gnarls Barkley: Crazy
5.Sportfreunde Stiller: 54, 74, 90, 2006
6.Herbert Grönemeyer: Zeit, dass sich was dreht
7.Matafix: Big City Life
8.Silbermond: Das Beste
9.Eros Ramazzotti & Anastacia: I Belong To You
10.Xavier Naidoo: Dieser Weg