Sie spielen amerikanische Roots-Musik zwischen Melancholie und Punk-Energie: The Avett Brothers, gerade noch beim Haldern Pop, erzählen im Interview, wie sie vom Hardrock zum Bluegrass kamen und wie es ist, mit Produzenten-Legende Rick Rubin zu arbeiten.
Bluegrasscountryfolkpunkrock. Genauer lässt sich die Musik, die The Avett Brothers machen, nicht eingrenzen. Seit zehn Jahren spielen die Avett-Blutsbrüder Scott (35) und Seth (31) mit dem Bruder im Geiste, Bassist Bob Crawford (39) ihre sehr eigene Sorte Roots-Musik. Oft melancholisch, immer leidenschaftlich, lyrisch und nicht selten lustig sind die Songs der Männer aus North Carolina, die im DerWesten-Interview im entspannten Südstaaten-Singsang von ihrer Arbeit erzählen.
Ihr habt ein riesiges Repertoire an wunderschönen Songs. Wie funktioniert das Songschreiben bei den Avett Brothers?
Scott Avett: Oh, vielen Dank! Früher, als wir noch Zeit hatten uns zum Proben zu treffen, haben wir einfach gespielt und jeder hat seine Ideen eingebracht. Die haben wir dann zerpflückt und zusammen dran gearbeitet. Manchmal hat Seth einen fertigen Song mitgebracht, und wir haben ihn einstudiert, manchmal hatte ich einen fertigen Song, oder Bob hatte einen. Das hat sich im Lauf unserer Karriere immer verändert und verändert sich weiter.
Seth Avett: Wir haben da keine festgelegte Vorgehensweise. Eins verbindet die verschiedenen Methoden allerdings: Die Songs erscheinen immer in entspannter Atmosphäre, wir setzen uns nie hin und sagen, wir müssen jetzt an den Songs fürs nächste Album arbeiten.
Euer letztes Album „I And Love And You“ ist 2009 erschienen, wann wird’s denn ein nächstes Album geben?
Scott: Wir sind gerade dabei, unse brandneue Platte zu beenden.
Seth: Und einen Song darauf hat Scott schon vor sieben Jahren begonnen zu schreiben.
Scott: Ja, einige Songs sind schon ziemlich alt. Manche können wir eben nicht beenden, bevor wir nicht bestimmte Phasen unseres Lebens erlebt haben. Wenn zum Beispiel ein Song drei Teile hat – einer handelt davon, als du 16 warst, einer davon, als du 22 warst und einer davon, als du 30 warst – kannst du ihn nun mal nicht schreiben, bevor du 30 bist. Jedenfalls nicht ehrlich.
Wie seid ihr eigentlich vom Hardrock zu der Sorte Musik gekommen, die ihr jetzt macht?
Scott: Seth und ich waren mit drei anderen Typen in dieser Hardrock-Band. Wir waren jung und wütend und wollten rebellieren, kämpften mit uns selbst – und mit dem Publikum. All das führte dazu, dass wir zusammen Songs geschrieben haben, und ich hatte das Bedürfnis, ein anderes Instrument zu spielen. Das hat mich zum Banjo gebracht, denn keiner meiner Freunde spielte Banjo. Die haben alle Gitarre, Schlagzeug oder Bass gespielt, haben gesungen, geschrien, sowas in die Richtung.
Als wir anfingen, zusammen Musik zu machen, haben wir sofort die Herausforderung gespürt, Songs zu schreiben, die nicht hinter Verzerrung versteckt werden könnten, oder hinter Lautstärke oder einem bestimmten Stil.
Zwei Leute, zwei Instrumente, nichts weiter: Das interessiert niemanden, wenn es nicht gut ist, weil es schon millionenmal gemacht worden ist. Wir haben angefangen, auf der Straße zu spielen und in sehr kleinen Läden, wo niemand zuhörte. Dann haben wir die Werkzeuge benutzt, die wir auch in der Rockband benutzt haben – zu schreien, einen Song mit sehr viel Energie und Kraft vorzutragen – und stellten fest, dass wir bei sehr viel älteren und sehr viel jüngeren Leuten auf Interesse stießen. 2001 kam Bob dazu, wir gingen auf unsere erste Tour. Von da an haben wir uns zu der Fünf-Leute-Band entwickelt, die wir heute sind, und jetzt kommen Teile dieser Rock-Energie zurück in unsere Musik.
The Avett Brothers in Köln
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„Wenn etwas aufrichtig ist, bekommt es auch Aufmerksamkeit“
Eure Musik ist ausgesprochen amerikanisch. Wie schwer ist es, sie in Europa zu vermitteln?
Seth: Wir haben bisher relativ wenig Zeit in Europa verbracht, man kann nicht sagen, dass wir hier schon alles gegeben haben und genau verstünden, was hier wie funktioniert. Aber ich würde vermuten, dass das, was anders ist, auch aufregend ist. Und ich hoffe, dass das, was wir machen, als aufrichtig rüberkommt. Und wenn was aufrichtig ist, spielt der kulturelle Hintergrund oder der Stil keine Rolle mehr, dann bekommt es auch Aufmerksamkeit.
In den USA spielt ihr inzwischen vor bis zu 10.000 Zuschauern. Wie ist es, in Europa dann wieder vor ein paar hundert Leuten zu spielen?
Scott: Großartig! Es ist fast wie eine Zeitreise. Und was echt gut ist: Man bleibt aufmerksam, vielleicht aufmerksamer als man wäre, wenn man jeden Abend vor 10.000 Leuten spielte. Oder anders aufmerksam. Ich kann gar nicht genau sagen, was es ist. Zumindest ist da mehr Intimität.
Bob: Wenn man das macht, was wir machen, ist man irgendwann nicht mehr einer von den Neuen. Und hier sind wir wieder die Neuen.
Scott: Das ist echt toll daran: Man darf sich wieder wie einer von den Neuen fühlen.
Ihr seid etwa ein Drittel des Jahres auf Tour, früher noch viel mehr. Wenn die Avett-Brüder so viel Zeit miteinander verbringen – braucht ihr dann dringend Abstand, wenn ihr nicht unterwegs seid?
Scott: Wir brauchen ihn nicht dringend, aber wir haben ihn. Wir haben es nie zu dem Punkt kommen lassen. Im Gegenteil, früher war’s fast so, dass wir, wenn wir wieder zu Hause waren, uns dran gewöhnen mussten, allein unterwegs zu sein. Wir gehen uns nicht so leicht an die Gurgel.
Kein Stück Integrität oder Kunst geopfert
Ihr habt sehr lange sehr frei gearbeitet, eure Alben auf kleinen Indie-Labels veröffentlicht. Wie hat die Zusammenarbeit mit Produzenten-Legende Rick Rubin und einem Major Label an eurem Album „I And Love And You“ die Art verändert, wie ihr Musik macht?
Scott: Wir hatten ohne Major Label mit unserer Arbeit ein so festes Fundament gelegt, hatten uns unsere Fans erspielt – was ja das Interessante ist, wenn eine Firma Platten und Tickets verkaufen will – dass wir ganz locker sagen konnten: Wir würden sehr gern mit Rick Rubin zusammenarbeiten, aber dann muss dieses und jenes passieren. Die geschäftlichen Vereinbarungen waren dann okay, wir hatten nicht das Gefühl, dass wir ein Stück unserer Integrität oder unserer Kunst opfern mussten.
Seth: Gestern habe ich mir sieben gerade abgemischte Songs für die neue Platte angehört, und sie haben sich für mich besser angehört als irgendwelche anderen Songs, die wir je aufgenommen haben. Einer der Gründe dafür ist Ricks Beteiligung und seine Art uns dazu zu bringen, Songs weiterzuentwickeln. Wir haben jetzt acht Monate dran gearbeitet, und vor der Zusammenarbeit mit Rick hätten wir niemals so viel Zeit mit einer Platte verbracht.
Rick hat uns geholfen zu erkennen, dass es manchmal länger dauert, Dinge dorthin zu bekommen wo sie hin müssen.
Gibt’s schon ein Erscheinungsdatum?
Scott: Nein, noch nicht. Wir müssen noch einmal ins Studio. Ich glaube, damit müssten wir hinkommen. Soll schließlich alles so gut sein wie’s sein kann.
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