Bottrop. Das Publikum im Kammerkonzertsaal in Bottrop feiert die Pianistin Tamara Stefanovich. Die Künstlerin bleibt ihrer Linie treu und macht keine Konzessionen.

Als Zugaben präsentierte die Pianistin Kompositionen der zeitgenössischen Avantgarde. Foto: Klavierfestival
Als Zugaben präsentierte die Pianistin Kompositionen der zeitgenössischen Avantgarde. Foto: Klavierfestival

Sie zählt zu den Pianisten der internationalen Elite, die mit besonderen Programmen aufwarten: Tamara Stefanovich, gebürtig aus Belgrad, inzwischen an der Kölner Musikhochschule lehrend, liebt Pointen, Überraschungen - aber sucht die innere und äußere Geschlossenheit. Werke von Franz Liszt und Ferruccio Busoni, die sich gleichwohl auf Johann Sebastian Bach beziehen, im ersten Teil; Claude Debussy und Olivier Messiaen ausschließlich im zweiten - eine Hommage an die französische Klaviermusik. Das volle Haus (im Kammermusiksaal) applaudierte enthusiastisch.

Kein Zuckerl für das Publikum

Stefanovich, in Belgrad und Philadelphia ausgebildet, eroberte sich somit das tief- und spätromantische Terrain bis hin zur Moderne. Dass Messiaen einer der Pioniere für die zeitgenössische Literatur war, wird immer deutlicher. Der Komponist und Ornithologe, der beim Hören von Vogelstimmen einen Katalog der Naturklänge anlegte, wird von vielen Interpreten geschätzt - vom Dirigenten bis zum Tastensolisten. Tamara Stefanovich liebt diese witzigen, kecken, jubilierenden oder aufmüpfigen Töne beispielsweise eines Trauersteinschmätzers oder des großen Brachvogels, um an Grenzen vorzustoßen - formal, inhaltlich, melodisch, rhythmisch. Grandios!

Ebenso findet sie schnell einen Zugang zu den impressionistischen, kühn schillernden Farben Debussys: die „Undine”, die „Terrasse im Mondschein” oder das „Feuerwerk” nutzt sie zur Brillanz, um Stimmungen bei sich (oder auch beim Auditorium) zu stimulieren. Sie trifft auf diese Weise den Nerv dieser Musik zwischen den Jahrhunderten. Sie wird zum Seelen- und Gefühlsträger.

Anders Liszt (Variationen über Bachs Kantatenthema „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen”) und Busoni (Chaconne aus der Violin-Partita Nr. 2 von J.S. Bach): Beide huldigen zwar dem großen Barockmeister, bewegen sich allerdings auf freien und klanglich extremen Feldern. Sie dienen Bach, ohne vor ihm einzuknicken. Und sie ummanteln den barocken Kern mit ihrer Kunst der chromatischen Delikatesse und der psychologischen Auslegung.

Auch oder gerade hier demonstrierte die Künstlerin, seit 2002 Dauergast beim weiterhin erfolgreichen Klavierfestival Ruhr, ihr inniges Verhältnis zu ernsten, nachdenklichen, meditativ angelegten Konzepten. Schließlich verarbeitet Liszt mit diesem Stück von 1862 den Tod der Tochter Blandine; Busoni ist interessiert an orchestraler Wirkung auf den schwarz-weißen Tasten. Das gelingt ihm nahezu perfekt - und Tamara Stefanovich dringt weit in die Charakteristika der Kompositions-„Brocken” ein.

Als Zugaben: kleinere Werke von Carter und Kurtag - knappe, konzentrierte Extrakte heutiger Avantgarde. Das heißt für diesen Abend, von der RAG gesponsert: Tamara Stefanovich bleibt sich treu. Zuckerl fürs Publikum? Nein, dahinter steht die Pianistin nicht. HJL