Essen. Vor dem eigenen Album steht für die meisten Musiker Klinkenputzen bei den Plattenlabeln an. Doch das ist längst nicht mehr der einzige Weg ins Tonstudio: Auf Online-Plattformen gewinnen Künstler Privatleute als Geldgeber.
Die Idee stammt aus der unabhängigen Musikszene. Rio Reisers Band Ton, Steine, Scherben hat es in den 70er Jahren vorgemacht, die „Einstürzenden Neubauten“ haben es vor kurzem noch getan, und Angelika Express zogen in diesem Jahr nach: Sänger lassen sich ihre Alben durch Fans finanzieren. Ein neues deutschsprachiges Onlineportal will dem Modell nun eine breitere Plattform verschaffen.
50.000 Euro als Vorraussetzung
„SellaBand“ („Verkauf eine Band“) ist im Juni 2009 in einer deutschsprachigen Version online gegangen. Musiker stellen dort Proben ihres musikalischen Schaffens ein. Wem’s gefällt, der kann sich ab einem Beitrag von 10 Euro an der Finanzierung eines professionell produzierten Albums beteiligen. Ab 50.000 Euro öffnet SellaBand den Künstlern die Studiotüren.
Wer diesen Mindestbetrag erreicht, der benötigt dazu im Durchschnitt ein knappes Jahr, sagt Geschäftsführer und Gründungsmitglied Dagmar Heijmans, der seit 2007 eine englische Variante der Seite betreibt. Den bisherigen Rekord hält die Britin Ellie Williams: Sie war „in fünf bis sechs Wochen“ am Ziel. Der Schlüssel zum Erfolg im weltweiten Netz war lokales Engagement: Die Künstlerin trat häufig in ihrer Heimatstadt Devon auf, warb vor Ort um Unterstützung – und macht natürlich „wirklich gute Lieder“, wie Heijmans versichert.
Spiel ohne Verlierer?
Es scheint wie ein Spiel ohne Verlierer. Die Künstler binden sich nicht längerfristig an ein Plattenlabel – nur die Verwertungsrechte für das über die Website finanzierte Album gehen für eine Dauer von fünf Jahren an SellaBand. Die Geldgeber, "Believer" genannt, teilen sich 50 Prozent des Nettogewinns, die andere Hälfte geht an die Künstler. Die meisten Musikliebhaber allerdings engagierten sich nicht des Geldes wegen, versichert Geschäftsführer Dagmar Heijmans, sondern „wegen des Gefühls, etwas möglich zu machen, dabei zu sein“.
Bis zum Erreichen der magischen 50.000-Euro-Grenze können die „Believer“ ihren Anteil jederzeit zurückziehen oder auch den finanziellen Gunstbeweis einem anderen Künstler zuteil kommen lassen. Wie fest das Band zwischen Sänger und Unterstützern ist, das hängt von den Kreativen selbst ab: Je stärker sich der Künstler online engagiere, auf Anfragen reagiere, sein Profil aktuell halte, desto treuer zeigen sich auch seine Anhänger, sagt Hejmans. „Talent zu haben, genügt nicht.“
Chance für Nischen-Bands?
Trotz eines geringen Mindestbeitrags verzetteln sich die 40.000 „Believer“ nicht allzu sehr: Die Hälfte des bisher zur Verfügung gestellten Geldes ist dem Geschäftsführer zufolge an jene 32 Bands gegangen, die bisher die 50.000-Dollar-Grenze knacken konnten.
Und die Unterstützer haben Vorlieben. Bislang hat die englische Version von SellaBand vor allem Singer-Songwriter und Pop-Rock-Künstler nach oben gespült. Die Holländer von Nemesea, die als Erste 50.000 Euro zusammen bekamen, bestätigen seine Worte ebenso wie die US-Band Cubworld, die inzwischen für ihr zweites Album sammelt: Die Niederländer bieten melodischen Gothic Rock, die Amerikaner gefühlvollen Alternative und Folk Rock. „Klassische Musik, Hip Hop und Death Metal schaffen es derzeit bei uns nicht“, sagt Heijmans.
Dass die Abstimmung durchs Publikum auf Dauer Einheitsbrei hervorbringen wird, glaubt er trotzdem nicht, „ganz im Gegenteil“. Ein traditionelles Musiklabel habe vor allem die Absatzchancen im Blick, sagt er, der früher für den Branchenriesen Sony tätig war. Während die Nischen auf einem nationalen Markt oft nicht groß genug seien, hätten „speziellere Künstler“ im Netz die Chance, weltweit um Anhänger zu werben. Das würden die Mitglieder von Electric Eel Shock sicher bestätigen. Die Formation spielt sehr hörbaren Garage Metal und trommelte nur zwei Monate für die Finanzierung – wenig länger als Rekordhalterin Ellie Williams. Die Musiker kommen aus Tokio.
Schwarze Zahlen nächstes Jahr
Während die Vorläufer Ton, Steine, Scherben mit fanfinanzierten Produktionen auf keinen grünen Zweig kamen, macht die Graswurzel-Idee mittlerweile Schule: Die englische Seite Slice the Pie(„Teil den Kuchen“) und das französische Gegenstück My Major Company („Meine Riesenfirma“) vermitteln ebenfalls zwischen zahlungswilligen Fans und Künstlern.
Ob das Finanzierungsmodell die Musikbranche dauerhaft verändern wird? Der SellaBand-Geschäftsführer hält es für möglich. Vor Raubkopien und illegalen Tauschbörsen sind auch diese Künstler nicht gefeit – da sie sich allerdings für die Produktionskosten weder gegenüber einem Label noch privat verschulden müssen, sind sie immerhin vor finanziellen Verlusten geschützt. Anbieter SellaBand, da gibt sich Heijmans optimistisch, werde wohl bis spätestens nächstes Jahr schwarze Zahlen schreiben.