Essen. Der zwölfjährige Chinese Niu Niu debütiert beim Klavier-Festival Ruhr in Essen und schenkt dem Publikum fünf Zugaben. Pianistische Herausforderungen werden löst er dabei kalkuliert – und bewundernswert.

Von dem Jungen wird man noch hören. Ein bisschen steif betritt er das Podium der Essener Philharmonie, ganz klassisch in Frack. Artige Verbeugung. Niu Niu, der schmale Chinese, passt ins Wunderkind-Klischee: Unterricht mit Drei, Klavierstudium in Shanghai mit Sechs, Konzerte in London und New York. Auswendige Beherrschung von Beethoven, Chopin, Liszt. Technische Vollkommenheit am Flügel: die Fingerchen fliegen, die kleine Hand lässt sich von schwierigen Trillern nicht beeindrucken.

Niu Niu kann, so scheint es, einfach alles. Und beschenkt den spürbar beeindruckten Saal mit fünf Zugaben, eine schwerer als die andere: Wagners Tristan-Finale in Liszts Version, Rimski-Korsakows „Hummelflug“, Mozarts „Rondo alla Turca”...

Kalkuliert und bewundernswert

Die fruchtlose Debatte muss nicht geführt werden: Ein Zwölfjähriger, mag er noch so frühvollendet sein, wird Isoldes Liebestod nicht mit schwellender Lust und sehrender Sehnsucht zelebrieren. Er wird auch den wehmutsvoll süßen Gesang im Andantino des „Jeunehomme“-Klavierkonzerts Mozarts nicht anstimmen können. Und er wird sich in Haydns Klavierkonzert D-Dur nicht in ätherische Sphären hineinträumen. Dort, wo der lebenserfahrene Dichter am Klavier einen poetischen Kosmos erschließen kann, bleibt Niu Niu geschmackvoll, zärtlich, sogar empfindsam. Er löst die pianistische Herausforderung kalkuliert – und bewundernswert.

Doch lasst diesen Jungen heranwachsen, lasst ihn geschützt von der Maschinerie der Vermarktung reifen, hört ihn in zehn Jahren wieder. Die Prognose sei gewagt: Er wird wie eine Rakete in den Himmel der Klavierkunst schießen. Denn wie viel unbändige Musikalität in Niu Niu steckt, brach in Haydns Klavierkonzert leuchtend hervor. Verspielt und frei greift er das prägnante Thema auf. Gelöst und lebendig verarbeitet er es, modelliert die Töne fein und rund und zeigt in der Kadenz souveränes Verständnis. Das Potential dieses Knaben macht schwindlig. Muhai Tang und das Zürcher Kammerorchester haben ihre liebe Mühe, Nius selbstbewusste Tempo in Mozarts Klavierkonzert aufzunehmen, reagieren aber professionell flexibel.

Bei Haydn durchpulst der Rhythmus die Musiker in glücklicher Einigkeit mit dem Pianisten. In Mendelssohns Erster Streichersinfonie zeigt das Orchester Sinn für Spannung und Kontur. Edvard Griegs Suite „aus Holbergs Zeit“ war dank herber Tongebung vor niedlicher Süße bewahrt, ließ aber hin und wieder saubere Intonation, schlüssige Phrasierung und ein Quäntchen tänzerischer Ausgelassenheit vermissen.