Köln. .
Das neue Album von David Garrett ist ein Crossover-Werk zwischen Klassik und Rock. Ein Blick auf die Wurzeln des Geigenvirutuosen zwischen dem Drill der täglichen Musikstunden und einer Flucht zu Rock und Grunge.
„Bei uns zuhause wurde Rockmusik früher eher nicht gehört“, sagt David Garrett. Da die Eltern not amused waren, dass sich ihr heranwachsendes Geigen-Wunderkind schon früh für Rock und Grunge interessierte, hörte David Songs wie „Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana, „Kashmir“ von Led Zeppelin oder „November Rain“ von Guns“n“Roses meistens heimlich. Sie waren nicht nur ein Ventil, sondern auch Teil seiner musikalischen Sozialisation, als er noch dem Drill der täglichen Geigen-Übungen ausgesetzt war. Die Entertainerlegenden aus dem U-Musik-Bereich haben ihn genau so inspiriert wie die große Violinistin Ida Haendel, die einst seine Lehrerin war.
Jetzt hat der Geiger, der für sich in Anspruch nimmt, einer der besten oder zumindest schnellsten der Welt zu sein, die Musik seiner heimlichen Vorbilder neu interpretiert, mit seiner Geige als Stimme und - zumindest über weite Strecken - dem City of Prague Philharmonic Orchestra als Begleitung. Für „Rock Symphonies“ (Decca/Universal) kehrte Garrett, der in Aachen als Kind deutsch-amerikanischer Eltern zur Welt kam, den Rocker raus und nahm außer den oben genannten auch Songs wie die McCartney-Komposition „Live And Let Die“ neu auf oder „Master of Puppets“ von der US-Band Metallica.
Dabei ging Garrett mit gebührendem Respekt an die Vorlagen. Die Grunge-Hymne von Nirvana habe er schon vor fünf Jahren covern wollen, erzählt er, damals habe er sich aber noch nicht zugetraut, die Balance zwischen dem Original und der klassischen Herangehensweise zu finden und dabei auch noch der Emotionalität, die in der ursprünglichen Fassung steckt, gerecht zu werden: „Nirvana-Sänger Kurt Cobain ließ die Tragik, die er in seiner Person gehabt hat, auch wunderbar in seine Musik einfließen.“ Andererseits wollte er das Stück auch nicht zu sehr überfrachten. „Grunge ist ja die Simplifizierung des Rock“n“Roll der 70er Jahre. Ich habe versucht, nicht zu viel Virtuosität da reinzubringen, weil das dem Grunge nicht entspräche.“
Garretts Spagat macht sich gut in einer Zeit, in der die Musikszene in der Krise steckt. Mit Crossover lassen sich auch oder gerade in schlechten Zeiten neue Absatz-Bereiche erschließen. Das erkannten schon die Aerosmith-Musiker Steven Tyler und Joe Perry, als sie 1986 den von ihnen geschriebenen Song „Walk This Way“ mit den HipHoppern von Run DMC aufnahmen und damit ihrer Karriere neuen Schwung verliehen. Es lag also nah, dass Garrett, der sich im CD-Heft wie ein Cobain für Reiche präsentiert, für sein elftes Album auch dieses Stück neu einspielte: „Die Originalversion bewies doch, wie gut Crossover funktionieren kann, wie großartig sich Rock und HipHop verbinden lassen.“
Ein Stück Identitätsfindung
Die Arbeit an „Rock Symphonies“ hat noch einen weiteren positiven Effekt. Seit Garrett für seine Neuschaffung „Vivaldi Versus Vertigo“ Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mit „Vertigo“ von der irischen Rockband U2 kombinierte, braucht er sich nicht mehr davor zu fürchten, von dem prägnanten U2-Riff belästigt zu werden, das sich ihm immer ins Ohr schlich und ihn plagte, wenn er auf der Bühne Vivaldi spielte. So besiegt man Dämonen.
Inzwischen ist der Künstler, der vier Jahre an der renommierten Musikakademie Juilliard School in New York klassische Geige und Komposition studierte, auch seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen, „ganz jungen Menschen die Klassik nahe zu bringen. Die Altersspanne der Zuschauer in meinen Konzerten reicht inzwischen von vier bis 90“, hat er festgestellt.
Für Garrett war dieses Album wohl ein weiterer Schritt auf der Suche nach der Identitätsfindung. In den letzten Jahren hatte er oft mit unbedachten und von den Medien gern aufgenommenen Bemerkungen über sein unstetes Liebesleben auf sich aufmerksam gemacht. Neuerdings lässt er seine Interviews von drei bis vier Promotionhelfern bewachen und lehnt Fragen nach seiner Entwicklung als zu persönlich ab. Andererseits vergleicht er sich gern mit dem großen italienischen Komponisten und Violinisten Niccolo Paganini, dessen Biografie inklusive Schilderungen des ausschweifenden Lebenswandels er mit Spannung las: „Ich stellte fest, dass schon im neunzehnten Jahrhundert mit Gerüchten über Bettgeschichten gearbeitet wurde.“ (dpad)