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Marit Larsen, Mando Diao, Editors - auf dem Eurosonic-Festival in Groningen erwartet die Musikbranche, die aufstrebenden Bands live zu sehen. Dabei haben die Messebesucher vollstes Vertrauen in das Näschen von Robert Meijerink.

Sie schenken ihnen 15 Minuten ihrer Zeit. Die Vertreter der Festivals, Radiostationen, Musikzeitschriften oder Plattenfirmen. Die aufstrebenden Bands wissen nur nicht, welcher der Moment sein könnte, in dem sie in Groningen entdeckt werden. 250 Bands aus ganz Europa spielen am 14. und 15. Januar 2010 auf über 40 Bühnen in Clubs, Bars oder Konzerthallen der nordniederländischen Stadt. Oft spielt die Musik an mehreren Orten parallel. Die rund 2500 Menschen aus der Musikbranche, die zum Eurosonic-Festival kommen, versuchen so viele Bands wie möglich zu sehen. 15 Minuten rein, umgerechnet etwa drei Liedern lauschen, zu Fuß oder mit der Fiets – dem Fahrrad – weiter zum nächsten Gastspiel.

Die Erfolgsgeschichte spricht für sich

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Das Eurosonic ist kein gewöhnliches Festival. Es ist ein Showcase-Festival, wie es in der Branche heißt. Auf Europas größter Musikmesse stehen die Künstler unter besonderer Beobachtung: „Es ist eine Plattform für neue und aufstrebende Bands“, schildert Robert Meijerink. Der 34-Jährige ist der Booker. Derjenige, der die Musiker bucht. Er präsentiert der Industrie die Stars von Morgen. Selbst wenn es generell keine Künstlergagen gibt, fällt es Meijerink deshalb meistens nicht schwer, Bands für einen Auftritt beim Eurosonic zu begeistern.

Die Erfolgsgeschichten sprechen für sich: Mando Diao verdienten sich 2003 hier erste Meriten. Franz Ferdinand kletterte 2004 unmittelbar nach dem Festivalauftritt die Charts hoch. Editors oder The Kooks überzeugten 2006 auf Groningens Bühnen. Heute spielen die Radiostationen ihre Lieder regelmäßig. Und Marit Larsen nutzte im Januar 2009 das Eurosonic als Sprungbrett für ihre Karriere und erhielt einen Plattenvertrag.

Robert Meijerink organisierte mit 16 Jahren sein erstes Festival mit Lokalbands in Hof van Twente nahe seiner Geburtsstadt Deventer im Osten der Niederlande. „Ich bin mit Musik aufgewachsen, war in alle Richtungen interessiert, fuhr oft in die größeren Städte, um Konzerte zu sehen“, sagt Meijerink. Seinen Werdegang sieht er als „roten Faden“: „Es ging für mich immer darum, junge Talente zu finden.“ In Nimwegen studierte Meijerink zwar Kulturelle Anthropologie. Doch noch vor dem Abschluss im Jahr 2001 war ihm klar: „Ich will auch beruflich etwas mit Musik machen.“ Er lernte den niederländischen Musiker André Manuel kennen, der ihn zu seinem Tourmanager machte. 2000 engagierte sich Meijerink als Volonteer beim kostenlosen Nimweger Festival „de-Affaire“, 2001 übernahm er dort das Booking. 2003 holte ihn der Doornroosje Club – ein kleiner, aber landesweit sehr etablierter Konzertclub in Nimwegen – ebenfalls als Booker an Bord. Sein gutes Näschen für Talente sprach sich bis zu den Organisatoren des Eurosonic herum, so dass er seit 2005 auch hier entscheidet, wer die Bühnen betritt. Seine niederländischen Kollegen wählten ihn 2006 zum Booker des Jahres.

Anspruchsvolles Booking

Mando Diao verdienten sich 2003 auf dem Festival erste Meriten. (c) Getty Images
Mando Diao verdienten sich 2003 auf dem Festival erste Meriten. (c) Getty Images

Ob Meijerink und sein Booking-Team die richtige Auswahl der Bands treffen, hängt nicht nur von ihrem guten Gespür ab. Mit der European Broadcasting Union (EBU) steht ihnen ein starkes Netzwerk der großen Radiostationen zur Seite. Die EBU-Mitglieder entsenden Bands aus ihren Ländern. „Wir arbeiten in manchen Ländern auch mit Musikexportbüros zusammen. Sie sagen uns, welche Bands interessant sein könnten“, sagt Meijerink. Ein weiterer Partner ist das European Talent Exchange Programm (ETEP), das talentierte Bands auf Festival-Tour schickt.

Reinhard Bärenz, Musikchef von Radio Sputnik, der junge Radiosender des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), vertritt die deutschen Sender seit zehn Jahren in der EBU. Trotz Unterstützung durch die Netwerke sieht Bärenz die größte Leistungen bei Meijerink und dessen Kollegen: „Das sind schon Trüffelschweine da in Groningen. Das Booking ist sehr anspruchsvoll.“ Das Eurosonic sei das erste Festival des Jahres. Es biete einen „perfekten Überblick über die Bands, die im Laufe des Jahres eine Rolle spielen“.

„Es ist sehr teuer“

Franz Ferdinand kletterte 2004 unmittelbar nach dem Festivalauftritt die Charts hoch. (c) imago
Franz Ferdinand kletterte 2004 unmittelbar nach dem Festivalauftritt die Charts hoch. (c) imago

Hinter dem Eurosonic und dem am 16. Januar sich anschließenden Noorderslag-Festival nur für niederländische Bands steckt „noch mehr als die Konzerte. Donnerstags und freitags finden etliche Seminare und Konferenzen statt“, so Robert Meijerink. Es werden neue Möglichkeiten diskutiert, wie die Branche Geld verdienen kann, wie Bands vermarktet werden können – die Zukunft der Branche generell. „Tagsüber trifft man sich zum Austausch. Es gibt auch fest terminierte Meetings wie die ‚Juni-Juli-August-Festivalmeetings’, wo Festivalveranstalter, die am selben Wochenende veranstalten, zusammengebracht werden“, schildert Stefan Lehmkuhl, der Leiter des Melt! und des Berlin Festivals. 2500 Menschen aus der Musikindustrie finden sich aus ganz Europa und darüber hinaus in Groningen ein.

Was das Eurosonic kostet, kann Meijerink nicht sagen, „aber es ist sehr teuer“. Finanziert wird das Festival durch Mittel der Stadt und der Provinz Groningen, durch Fördermittel einiger Länder und der EU sowie durch Sponsoren. Außerdem investieren die Radiosender viel in die Produktionen. Sie schicken ihre Aufnahmetrucks für Mitschnitte der Konzerte.

Keine Zeit für Verzögerungen

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In Groningen herrscht an den Festivaltagen ein reges Treiben. Das typische Verhalten des Fachpublikums bei den Auftritten beschreibt Meijerink so: Sie platzen mitten in ein Konzert, lehnen sich zurück und beobachten die Band mit konzentrierter Mine. Wie erwähnt, nach drei Liedern geht’s weiter. Es sei gut, meint der 34-Jährige, dass auch normale Festivalbesucher kommen, die mitwippen, applaudieren und schreien. Gut für die Bands, die sich animiert fühlen. Und gut für die Booker, die eine authentische Reaktion auf die Darbietungen sehen. Bei dem äußerst straffen Zeitplan komme es sehr darauf an, dass es keine Verzögerungen gibt, sonst sei das Fachpublikum schnell unzufrieden, ergänzt Reinhard Bärenz. Das sieht auch Stefan Lehmkuhl so, der ebenfalls am Abend „auf die Jagd nach spannenden neuen Acts fürs eigene Festival“ geht: „Auch ich versuche mir so viele Acts wie möglich pro Tag anzuschauen. Durchaus schafft man bis zu zehn Bands am Tag, da das Festival sehr kompakt ist und die Zeitpläne eingehalten werden. In 2009 hat das Melt! ganze zehn Acts gebucht, die beim Eurosonic 2009 aufgetreten sind.“

Ein guter Querschnitt

Lykke Li spielte in Groningen und beim niederrheinischen Haldern Pop Festival. (c) Getty Images
Lykke Li spielte in Groningen und beim niederrheinischen Haldern Pop Festival. (c) Getty Images

Da jedes Festival eine gewisse Geschichte erzählt, wählen sich die Booker für ihre Veranstaltungen nur Gruppen und Künstler aus, die in ihr Konzept passen. Meijerink sorgt dafür, dass sämtliche Stilrichtungen populärer Musik in Groningen vertreten sind. „Die meisten Bands kenne ich schon vorher, aber hier möchte ich sie live sehen“, sagt Stefan Reichmann, die treibende Kraft beim niederrheinischen Haldern Pop Festival, der auch dafür bekannt ist, unentdeckte Perlen auszubuddeln. Künstler wie Kaizers Orchestra, Duke Special oder Lykke Li zum Beispiel, sah Reichmann in Groningen und buchte sie anschließend für das Haldern Pop. Die Booker vertrauen darauf, einen guten Querschnitt von dem zu bekommen, was es in Europa gibt. Deshalb, so Meijerink, sei der Druck und die Verantwortung für ihn auch groß. Gewisse Bands dürfe Eurosonic nicht verpassen.

Selbst wenn für das Eurosonic 2010 die Messe gelesen ist und alle Verträge unterschrieben sind, einen Abschluss seiner Arbeit findet Robert Meijerink nie: „Der Job geht immer weiter. Ich lese viel über Musik, höre viel Musik, pflege Kontakte, tausche mich aus, besuche etliche Festivals und Konzerte, auch andere Showcase-Festivals wie die Popkomm in Berlin. Für mich ist es wichtig, die Bands live zu sehen.“ Es reiche nicht, ein gutes Lied auf Internet-Seiten wie MySpace gehört zu haben, „die Künstler müssen den Sound auch live wiedergeben können. Beim Konzert bin ich ein normaler Konzertbesucher. Glaube ich. Ich schaue mir an, wie sie auftreten, wie die Musik ist, wie das Publikum reagiert. Es ist auch interessant, ob die Gruppe etwas Besonderes oder etwas Neues bietet.“ Den persönlichen Geschmack ist Meijerink bemüht für seine Aufgabe abzuschalten. Es kommt ihm aber zugute, dass er allen möglichen Stichrichtungen von Pop über HipHop bis Rock etwas abgewinnen kann.

Osteuropa im Blick behalten

Hunderte Bands reichen ihre Musik selbst beim Eurosonic ein. „Die höre ich mir alle an. Da muss ich mich sehr konzentrieren und viele Entscheidungen treffen. Oft bleibt keine Zeit, lange zu diskutieren.“ Bei der Auswahl muss Meijerink auch im Ländervergleich die Balance wahren. Aus Großbritannien, Deutschland und Skandinavien gebe es immer gute Bands, aber auch Länder in Osteuropa „müssen wir im Blick behalten“. Ein Land steht jedes Jahr im Fokus. 2010 ist es Norwegen. Im Wesentlichen steht das Fokusland bei den Konferenzen im Mittelpunkt. Jedes Thema werde noch einmal auf Norwegen reflektiert. Die Anzahl der Konzerte mit norwegischen Künstlern erhöht sich unwesentlich.

Marit Larsen nutzte im Januar 2009 das Eurosonic als Sprungbrett für ihre Karriere und erhielt einen Plattenvertrag. (c) imago
Marit Larsen nutzte im Januar 2009 das Eurosonic als Sprungbrett für ihre Karriere und erhielt einen Plattenvertrag. (c) imago

Wer schafft 2010 den Durchbruch? „Ich bin kein Nostradamus. Auch ich muss sie im Januar erst sehen und die Reaktionen abwarten. Aber ich bin mir sicher, wir haben eine gute Auswahl getroffen.“ Robert Meijerink benutzt gerne das Wort Profitieren. Er möchte den Bands nicht den großen Durchbruch versprechen, ist aber überzeugt davon, “dass sie von einem Auftritt beim Eurosonic profitieren können. Letztendlich setzt sich Qualität durch. Aber Erfolg hat viele Ebenen. Für manche sind die ersten guten Rezensionen ein Erfolg. Andere bekommen einen Plattenvertrag. Und wieder andere landen auf den großen Festivals.“ Die deutsche Gruppe Bodi Bill trat im Januar 2009 auf, ohne ein Album veröffentlicht zu haben. Eurosonic war auch für die Elektro-Band ein Sprungbrett. „Jetzt kommt das erste Album heraus und für die Band geht es richtig los“, sagt Meijerink. Und es gibt Bands, die die zweite Chance nutzen: Durch die Mitschnitte, die im Radio gespielt werden, kann auch ein Karrieresprung folgen.

Einen Trend glaubt er in Deutschland dennoch entdeckt zu haben: die Vermischung verschiedener Stile. Als Vorbild nennt Meijerink die New Yorker „Brooklyn scene“, in der Bands wie Yeasayer oder Vampire Weekend mit Experimentierfreudigkeit überzeugen. Das schwappe auch nach Deutschland herüber. „Zum Beispiel Wareika. Sie bringen viele Einflüsse zusammen. Afro, Pop und polyrhythmische Musik“, so Meijerink. Die Berliner gastieren ebenso beim Eurosonic wie Schlachthof Bronx, die brasilianischen Bailefunk mit Elektro verbinden. „Sie könnten vom Eurosonic profitieren. Sie bieten absolute Partystimmung.“ Bleibt zu hoffen, dass sie die 15 Minuten Aufmerksamkeit überzeugend nutzen.

Das komplette Programm gibt es im Internet unter www.noorderslag.nl. Auf www.eurosonic.net gibt’s Infos zum Netzwerk.