Essen. In Essen hat Anselm Weber den dritten Teil von Wagners "Ring des Nibelungen" geschmiedet. Es herrscht Langeweile.

Was für ein Widerspruch: Ausgerechnet „Siegfried”, diese Oper, zum Bersten voll mit Spannung und dramatischer Aktion, ist der bislang lebloseste Teil des Essener „Ring des Nibelungen”. Am Samstag war Premiere.

Anselm Weber war der Regieauftrag zugefallen. Weber hat mit kluger Theaterpolitik Essens Schauspiel aus der Bedeutungslosigkeit gerissen und wird bald Bochums Intendant. Als Visitenkarte für die Zukunft sollte man seinen Wagner wohl nicht verstehen.

Wie kann man als Theatermann so wenig Zugang finden zu einer rasanten Geschichte, zu prallem Märchentheater voller Gleichniskraft für die Gegenwart? Ein Zwerg hegt ein ahnungsloses Inzestgeschöpf (Siegfried), um mit der spätpubertären Kampfmaschine Allmacht zu erlangen. Doch der Knabe und seine Kraft verselbstständigen sich, er tötet, um voranzukommen, besiegt Großvater Wotan, den schwächelnden Gott, und erlebt erste Lust in den Armen seiner Tante, Brünnhilde.

Schon der erste Aufzug verschenkt

Aber es sagt alles, wie Anselm Weber schon den ersten Aufzug verschenkt. Sämtliches Personal dieses tragikomischen Eröffnungsbildes schlurft geradezu sediert über die Bühne, die Raimund Bauer mit einem Hügel-Teppich auskleidet, der mal ans Kieselbett des Rheins erinnern, mal die Haut der Monsterechse bildet, in die sich der Riese Fafner einst verwandelt hat, um den Hort optimal zu schützen. Nun weiß Fafner – auch das ein großartiges Bild Wagners – nichts damit anzufangen: „Ich lieg und besitz . . .”

Wer viele „Ringe” gesehen und gehört hat, wird fragen dürfen: Wann hatte das selbstsüchtige Hoffen des Zwerges Mime, wann die naive Meisterschaft, mit der Siegfried aus Stücken das Siegesschwert schmiedet so wenig Theateratem wie im Aalto? Hier ist Mime in seinem Schrott-Winkel ein spröder Ahnherr der Ludolfs und seine Schmiede, von der doch die Musik verrät wie unberechenbar und mächtig sie ist, kaum mehr als eine Kitchenette am Bühnenrand.

Naturbursche mit kerngesundem Tenor

Weber hat mit seinem „Siegfried” eine naturmagische Annäherung schaffen wollen, die das Unheimliche der Mythen ernst nimmt und es prüft auf Relevanz für die Nachgeborenen. Aber so weit kommt es kaum. Ideen bleiben szenische Strohfeuer: Wotan etwa, der auf Urmutter Erda wartet wie ein nervöser Kindsvater vor dem Kreißsaal. Alberich lässt das ewige Harren auf Weltherrschaft an Krücken gehen.

Schwerer aber wiegen die Versäumnisse. Wie der Regisseur die propere (stimmlich sinnlich reife) Brünnhilde Kirsi Tiihonens den Feuerfelsen herabkraxeln lässt, das grenzt wie der ganze Schluss an böse Opernparodie. Leider scheint sie unfreiwilliger Natur.

Begreift man indes diesen „Siegfried” als konzertante Aufführung mit drei Regieeinfällen pro Stunde, kann man in Essen einen sehr respektablen Wagner-Abend hören. Johnny van Hals Siegfried ist ein Naturbursche mit kerngesundem Tenor. Er besiegt alle, nur gegen das Orchester kommt er nicht immer an. Einen so stimmgewaltigen und dazu grandios textverständlichen Mimen wie Rainer Maria Röhrig kann man suchen; die schillernd-dämonischen Farben seiner Rolle bleibt er in Webers Regiekorsett leider schuldig. Almas Svilpa, ein Wotan im scheußlichen Mantel eines Raben-Papageno (Kostüme: Bettina Walter), ist nicht gerade ein Nuancensänger, aber prachtvoll bei Götterkräften. Oskar Hillebrandt als Alberich bietet eine starke vokale Charakterstudie.

Die Essener Philharmoniker glänzen in der idealen Akustik des Hauses als nahezu makellose Wagner–Interpreten. Ihr Dirigent Stefan Soltesz, der seinen zügigen Zugriff für „Siegfried” relativiert hat, erntet den größten Beifall des Abends. Im Ganzen bleibt ein Eindruck wie Siegfrieds (wieder mal zu früh zersprungener) Amboss: sehr geteilt.