Köln. Liam Gallagher zeigt sich im Kölner Palladium disziplinierter als beim Konzertabbruch in Hamburg. Vom Skandalburschen ist nicht mehr viel übrig.

Überpünktlicher Beginn um kurz vor 21 Uhr. 14 Stücke, fünf Zugaben. Konzertschluss fast auf die Minute genau 22.30 Uhr. Alles voll im anderthalb Stunden-Normbereich. Keine besonderen Vorkommnisse am Montag im fast ausverkauften Palladium. Insofern hatte Köln mehr Glück als Hamburg, wo Liam Gallagher vergangene Woche Mittwoch einen Auftritt in der Sporthalle abbrach, weil seine Stimme nicht mehr mitmachte.

Knapp 4.000 Fans erlebten einen ausgesprochen disziplinierten 47-Jährigen, der artig Songs wie „For What It´s Worth“ von seinem Solo-Debüt „As You Were“ ankündigte und dazu aufforderte, mitzusingen. Das Wildeste in den ersten 30 Minuten ist, abgesehen vom krachenden, scheppernden, schrebbelnden Sound, die Kameraführung. Auf der Leinwand wackeln und zittern die Bilder der Band, als befände die sich auf hoher See oder der retrospektiven Suche nach der Hexe von Blair. Kippen in Schräglage, schwenken abrupt von rechts nach links, vollführen Drehungen, bei denen einem schwindlig werden kann.

Wer auf die Videoleinwand starrt, braucht kein Bier mehr zum Besoffen werden

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All das in einer Optik so grobkörnig wie ein Super 8-Film. Wer dem dauerhaft mit Blicken folgt, braucht kein Bier, um besoffen zu werden. Becher, gefüllt mit eben jenem Getränk, werden dennoch immer wieder über die Köpfe im Publikum gehoben, demjenigen zuprostend, der von 1991 bis 2009 der Frontmann von Oasis war und sich sein Image als böser britischer Rockbube mit Prügeleien, Pöbeleien und Prozessen hart erarbeitete. Immer wieder formieren sich Chöre, die „Li-am! Li-am! Li-am!“ intonieren. Sehnsuchtsrufe, die meist aus männlichen Kehlen erschallen. Für postpubertäre Jungs, aus denen längst gestandene Männer geworden sind, ist der Sänger aus der Arbeiterschicht von Manchester noch immer ein Idol.

Mit dem smarten Skandalburschen vergangener Tage hat er inzwischen optisch nicht mehr viel gemein. Ein formloses weites Obergewand mit Kapuze lässt den Körper nur erahnen, überm weißen Kordelzug am Hals wuchert ein Bart, der ihn wirken lässt wie einen Küstenfischer und die schwammig gewordene Kinnlinie gnädig verdeckt. Seine Silhouette mit dem runden Rücken weckt Assoziationen an eine Schildkröte, die den Kopf Richtung Mikrofon vorstreckt. Aber auch die Liebe der Frauen, die ihm unmittelbar vor der Bühne Schals und selbstgemachte Schilder entgegenhalten, ist ungebrochen.

Ohne Oasis-Reminiszenzen kommt der Abend nicht aus

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Bereits das arg zerschredderte Intro „Rock’n Roll Star“ ließ ahnen, dass es ohne Oasis-Reminiszenzen nicht abgehen wird. Tatsächlich stammen elf der Stücke, die im Palladium gespielt werden, von der Band, die 1994, als Cobain von dieser Welt schied, ihren Durchbruch erlebte. Mit „Morning Glory“, „Columbia“ und „Stand By Me“ präsentiert Gallagher ein phänomenales erstes Oasis-Set. Und ab da springt der Funke so richtig über.

Auch “Once” und der Titelsong “Why Me? Why not” vom zweiten, September 2019 veröffentlichten, Solo-Album können unbedingt überzeugen. Ab „Gas Panic!“ geht das Oasis-Feuerwerk dann in die Vollen. Gallaghers Ankündigung „This is the last song“ vor „Live Forever“ entpuppt sich gottlob als Fake. Es ist nur der letzte Song im offiziellen Teil. Vier Zugaben – „Acquiesce“, „Roll With It“, „Supersonic“ und „Champagne Supernova“ – krönen das, was beinahe ein Tribute-Konzert sein könnte. Wäre der Sänger nicht das Original.

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Zwei Minuten lang tobt der Applaus, ehe der Abend mit „Cigarettes & Alcohol“ den letzten Ritterschlag erhält. Später, draußen vor der Halle, sieht man einen jungen Mann, der ungeniert ein parkendes Auto anpinkelt. Skandal? Ja. Aber nur am Rande. Und definitiv nicht auf Liam Gallaghers Mist gewachsen.