Essen. . Vom Alpendorf bis nach Australien: Die neuen Romane aus der Schweiz zeigen, dass das viersprachige Land alles andere als abgeschottet ist. Wir stellen die besten Bücher vor – von Martin Suters Krimi bis zu Alex Capus’ Beobachtungen auf dem Dorfe.
Die Schweiz ist geradezu ein Synonym für Bank, und folgerichtig bringt das diesjährige Gastland zur Buchmesse ein passendes, augenzwinkerndes Geschenk mit: 40 rote Lesebänke stehen seit dieser Woche in der Leipziger Innenstadt.
Die Schweiz ist aber auch, seit dem 9. Februar, ein Synonym für Abschottung. Das Votum gegen „Masseneinwanderung“ erklärt, warum der „Auftritt Schweiz“ von über 80 Schweizer Autoren – von Peter Bichsel über Adolf Muschg bis Martin Suter – zugleich eine kleine Imagekampagne ist: Die Kulturschaffenden wollen sich ihrerseits abgrenzen von den Abgrenzungsbemühungen ihrer Landsleute.
Aus gutem Grund sieht man sich als kulturelles Einwanderungsland, betont der Zürcher Literaturwissenschaftler Peter von Matt in einem Essay für die „Zeit“: „Die Literatur, die hier entstanden ist, hat nämlich die Landesgrenzen immer schon passiert. In beide Richtungen.“
Die Internationalität ist gewissermaßen das Prinzip der alpenländischen Literatur, nicht allein der Viersprachigkeit des Landes wegen: Max Frisch schrieb den „Stiller“ in New York und „Gantenbein“ in Rom; heute entstehen die Bestseller von Martin Suter wahlweise auf Ibiza oder in Guatemala. Und den Deutschen Buchpreis gewann 2010 erstmals eine Einwanderin für die Schweiz: die in Zürich lebende Melinda Nadj Abonji, die nun in Leipzig mit einem eigenen Bühnenprogramm auf „den fremdenfeindlichen Diskurs in der Schweiz“ eindrischt.
Romane von Lukas Bärfuss, Tim Krohn und Silvia Tschui
Dabei offenbart der Blick auf die Neuerscheinungen des Frühjahrs, wie spannend das Wechselspiel zwischen der kleinen Schweiz und der großen Welt sein kann. Tim Krohn, Erzähltalent mit deutschen Wurzeln, verbindet in „Aus dem Leben einer Matratze bester Machart“ (Galiani, 120 S., 16,99 €) Länder und Jahrzehnte, indem er in kurzen Episoden einer deutschen Qualitätsmatratze vom ersten Gebrauch als Deflorationsuntergrund bis zum letzten Einsatz als Rettungsring im Meer folgt. So grandios und ungewöhnlich wie schon Krohns Alpensaga-Debüt „Quatemberkinder“, die er erzählte in begeisterter Aneignung der Schweizer Mundart.
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In Krohns Fußstapfen tritt in diesem Frühjahr Silvia Tschui mit ihrem Debüt „Jakobs Ross“ (Nagel & Kimche, 208 S., 18,90 €): Die opulent erzählte, märchenhaft gefärbte Geschichte der Magd Elsie, die im 19. Jahrhundert nichts hat als ihre Liebe zur Musik. Tschui gelingt eine erfrischende, nuancenreiche Variation historischer Geschichten vom Dorfe.
Das Dorf, heute: Alex Capus, seit „Léon und Louise“ Bestsellerautor und in der Normandie geboren, erzählt im Bändchen „Mein Nachbar Urs“ (Hanser, 128 S., 12,90 €) von seinen fünf Nachbarn, die alle Urs heißen: „Eigentlich sind es sechs, aber einer will nicht, dass man über ihn schreibt.“ Die kleinen Storys, ehemals Zeitungskolumnen, spielen allesamt in Capus Heimatstädtchen Olten, es sei denn, er ist unterwegs. Und läuft in Edinburgh einem Urs über den Weg, denn: „Wo immer ich auf der Welt hinkomme, ist einer aus Olten schon da.“
Der spannendste Schweizerroman der Saison reist noch weiter, bis nach Australien. Schriftsteller und Dramatiker Lukas Bärfuss, eine Bank seiner Zunft, nähert sich in „Koala“ (Wallstein, 184 S., 19,90 €) dem Selbstmord seines Bruders: Koala war der Name, den er einst bei den Pfadfindern bekam, und Bärfuss untersucht nun, ob dieser Name – das Pelzige, Niedliche, Unbewegliche – etwas mit der Lebensträgheit des Bruders zu tun haben könnte. Ein verstörendes, eindringliches, beinahe böses Buch, weil es den Kern des Menschseins mit nur scheinbar putzigen Pfoten berührt. Seine Botschaft: Schiebt es lieber nicht auf die lange Bank, das Leben.
Neuer Krimi von Martin Suter – und ein spannendes Jugendbuch
Blumen gelten als langweilige Gabe. Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter trat im vergangenen Sommer den Gegenbeweis an: Um eine florale Liebesgabe – ein millionenschweres Dahlien-Gemälde – an eine längst verblühte Schöne strickte er den Krimi „Allmen und die Dahlien“. Am Ende aber, nachdem die Kunst-Spürnase Allmen unser Bild von Ehre und Moral wieder geradegerückt hatte, stand ein kleiner Schock: Maria, die Geliebte seines guatemaltekischen Hausangestellten Carlos, wurde entführt!
Auf die Fortsetzung „Allmen und die verschwundene María“ (Diogenes, 224 S., 18,90 €) mussten die Leser acht Monate lang warten – gelohnt hat es sich nicht. Suter treibt einen verbrecherischen Reigen zur vollen Blüte, leider zulasten der melancholischen Atmosphäre des ersten Bandes. Warum der schmale Plot nicht einfach der Showdown für Band eins sein durfte – es bleibt ein blumiges Rätsel
Der Zürcher Diogenes-Verlag hat einen neuen Leiter, Philipp Keel, der lange in den USA lebte. Und Diogenes hat einen neuen Autor, einen Amerikaner Jahrgang 1983, der seit Langem in Zürich lebt. Stefan Bachmanns Fantasy-Debüt „Die Seltsamen“ (367 S., 16,90 €) wurde von der L.A. Times bereits als „geistreich und hochbegabt“ gepriesen.