Essen. In seinem Film “Boyhood“ erzählt Regisseur Richard Linklater im Verlauf von fast zwölf Jahren das Erwachsenwerden eines Achtjährigen. Damit avancierte er zum Liebling der Berliner Berlinale und wurde mit dem Bären für die Beste Regie belohnt. Im Interview erzählt er nicht nur über diesen Film.

Mit seiner Liebes-Trilogie „Before Sunrise“ erwarb sich Richard Linklater den Status als Kult-Regisseur. Für deren letzen Teil „Before Midnight“ ist er für den Oscar nominiert worden. Sein jüngster Streich „Boyhood“ ist einzigartig in der Filmgeschichte.

Mister Linklater, so viele Hymnen wie für Ihren Film hatte es lange nicht auf der Berlinale gegeben.

Richard Linklater: Natürlich ist es ein wunderbares Gefühl, wenn die Leute etwas mögen, an dem man so lange Zeit gearbeitet hat. Nun investieren die Zuschauer ihre Zeit, um am Leben dieser vier Figuren teilzuhaben, und scheinen dabei Spaß zu haben. Diesen Job macht man doch, um mit dem Publikum zu kommunizieren.

Sie haben Ihren Hauptdarsteller Ellar Coltrane im Alter von sechs Jahren verpflichtet – wie konnten Sie sicher sein, dass er über elf Jahre bei diesem Dreh am Ball bleibt?

Linklater: Mit viel Gottvertrauen in die Zukunft! Man kein ein sechsjähriges Kind ja nicht langfristig vertraglich binden. Aber wir hatten enorme Unterstützung durch seine Eltern, die beide Künstler sind. Das Projekt war also eine echte Familienangelegenheit. Und Ellar hat einen grandiosen Vorteil: Wessen Leben wurde jemals über so lange Zeit auf der Leinwand dokumentiert?

Wie würden Sie Ihre Absichten beschreiben?

Linklater: Der Film soll ein Spiegel sein, der zeigt, wie das Leben läuft und die Zeit vergeht. Das klingt wie ein experimenteller Film, wo danach alle sagen: „Interessant“. Aber das wollte ich vermeiden, für mich war entscheidend, die Zuschauer auch emotional mitzunehmen. Die meiste Zeit verläuft das Leben ziemlich ruhig, selbst in Kriegsgebieten ist das so. Umso mehr erinnert man sich an jene Momente, in denen etwas Außergewöhnliches passiert – genau so funktioniert es in „Boyhood“.

Fast drei Stunden sind eine ziemliche Länge für einen Film – gibt es noch eine längere Version?

Linklater: Nein, im Film ist fast alles zu sehen, was wir gedreht haben. Das ganze Drehbuch war ja von Beginn an weitgehend geplant, schließlich stand uns nur wenig Zeit und ganz wenig Budget zur Verfügung.

Haben Sie in den mehr als elf Jahren Drehzeit keine Veränderungen vorgenommen?

Linklater: Kaum, ich wusste im zweiten Jahr bereits, wie das Schlussbild des Films aussehen wird. Die Struktur stand also zum einen fest, zum anderen gab es jedoch viel Freiräume für die Schauspieler bei den Dialogen. In den letzten fünf Jahren war Ellar immer stärker beteiligt. Ich gab ihm als Hausaufgabe, dass er bei seinen Verabredungen immer aufschreiben sollte, was er mit den Mädchen dabei so redet und wie sie reagieren. Auch bei der Sprache habe ich mich auf ihn verlassen. Nichts ist schlimmer, als wenn 40-jährige Drehbuchautoren glauben, sie wüssten wie Jugendliche reden.

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Haben Sie das Werk chronologisch geschnitten oder erst zum Schluss?

Linklater: Wir haben den Film immer gleich nach den Dreharbeiten geschnitten. Es kam also jedes Jahr ein Stück dazu. Diese Episoden habe ich mir dann jeweils nochmals angeschaut, bevor es zu dem nächsten Dreh ging. Es ist großartig, wenn man sich so viel Zeit für die Montage lassen kann. Erst ganz am Ende haben wir nochmals den Feinschliff gemacht.

Was haben Sie bei diesem Projekt gelernt?

Linklater: Meine größte Entdeckung war, wie wenig sich die Kultur verändert hat. Von 1969 bis 1981 gab es unglaubliche Umbrüche. Danach ist nicht mehr viel passiert. Die Mode und die Autos sehen immer noch ziemlich gleich aus. Was sich dramatisch gewandelt hat ist die Technologie. Damit sind die Menschen so überfordert, dass sie für andere Veränderungen keinen Kopf mehr haben.

Zu den technologischen Veränderungen gehört auch die flächendeckende Überwachung durch Geheimdienste, was hat es mit Ihrem Kommentar zu NSA im Film auf sich?

Linklater: Das lag einfach in der Luft. Diese Szene ist lustig, aber auch real. Keiner von uns mag diese Überwachung – selbst Frau Merkel nicht.

Wird es eine Fortsetzung geben?

Linklater: Das war bislang noch kein Thema, wir haben beim Drehen nur Witze über diese Möglichkeit gemacht. Für mich stand von Anfang an fest, dass der Film mit dem Eintritt ins College und dem Auszug aus dem Elternhaus aufhören sollte.