Los Angeles.
Obsessive Hobbys machen selten attraktiv. Quentin Tarantino ist ein fanatischer Sammler von Filmzitaten. Wäre es schlecht gelaufen, würde er heute in einem Nischen-Blog über Spaghettiwestern und Splatterfilme dozieren. Stattdessen schauen ihm Millionen zu. Keine schlechte Leistung.
Es gibt einen Cartoon von Gary Larson, der die unwahrscheinliche Karriere des Quentin Tarantino auf den Punkt bringt. Man sieht einen bebrillten Jungen, der vor dem Fernseher hockt. Er ist versunken in ein Videospiel. Im Hintergrund stehen seine Eltern, sie beobachten ihn stolz. Über ihren Köpfen schwebt eine Gedankenblase mit einer Jobanzeige: „Guter Mario-Bros.-Spieler gesucht: Jahresgehalt 100.000 $.“ Tarantino hat ähnlich lange vor der Glotze gehockt wie der Junge bei Gary Larson. Er war kein Videospielfreak, dafür Filmjunkie. Als Mitarbeiter einer Videothek hat er so ziemlich alles mitgenommen, was sein Arbeitsplatz hergab. Je dicker die Staubschicht auf der Hülle, desto besser.
Das Faszinierende am Fall Tarantino ist, dass er das so angehäufte Wissen über japanische Monsterfilme, Spaghettiwestern und Horrortrash zu Geld gemacht hat. Sehr viel Geld. Er verkörpert eine ganz neue Variante des Tellerwäscher-Mythos: vom Fanboy zum Millionär. Er hat das „Geek-tum,“ die obsessive Beschäftigung mit kulturellen Randphänomenen, salonfähig gemacht.
Collagen aus Nischenprodukten der Kinowelt
Seine Filme verbinden Nischenprodukte der Kinowelt zu Collagen, die die Originale in gewisser Weise rehabilitieren. „Kill Bill“, zum Beispiel, zitiert angeblich mehr als 100 Filme – die wenigsten davon bekannt. Die Methode ist mehr als Recycling. Sie ist vergleichbar mit dem Sampling in der Musik, in dem die Passagen bestehender Songs zu etwas Neuem verbunden werden. Der Unterschied zu den B-Vorlagen ist freilich, dass Tarantino spätestens seit „Pulp Fiction“ (1994) genug Renommee hat, sie mit einem A-Budget und A-Darstellern neu zu verfilmen.
Das viele Geld hat auch Nachteile. Vor allem im Bereich der Gewaltdarstellung. Ein gutes Beispiel ist „Death Proof“, Tarantinos Grindhouse-Hommage von 2007. Deren Vorlagen aus den 70ern sind zwar keine Kinderfilme, die Splatterszenen wirken aber schon wegen der simplen Special Effects überzogen. In „Death Proof“ macht die Gewaltdarstellung einen technischen Sprung. In einer Schlüsselszene geraten die Hauptfiguren in eine Frontalkollision.
Vom Satirischen ins Unangenehme gerutscht
Hier rutscht die Art und Weise, wie Tarantino die Zerstörung der Frauenkörper zelebriert, vom Satirischen ins Unangenehme; die moderne Tricktechnik verwischt die Grenze zwischen dem cartoonhaft Gemeinten und Voyeuristischen. Anders ausgedrückt: Die Szene ist zu realistisch, um Satire zu sein und zu überzogen, um für voll genommen zu werden. Das heißt natürlich, dass jede Kritik an der Gewalt in Tarantino-Filmen ins Leere läuft. Regisseur und Fans können sich immer darauf zurückziehen, das alles sei ironisch gemeint - ein Phänomen, das man vom Gangsta-Rap kennt.
Die Splatter-Obsession verdeckt, dass Tarantino auch ohne Gewalt gut auskommt. Zum Beispiel in „Jackie Brown“ (1997), seinem in vieler Hinsicht besten Film. Hier läuft er vor allem als Drehbuchschreiber zur Hochform auf. Die Dialoge funkeln, das Setting ist liebevoll und Pam Grier spielt so gut, dass man sich fragt, wo sie all die Jahre gewesen ist. Hier blitzt Tarantinos Talent zur Reanimation vergessener Schauspieler hier wieder auf. Der Film ist weniger atemlos, weniger auf Effekte bedacht als alle anderen Arbeiten dieses Regisseurs.
Freundin-tauglich ist eigentlich nur "Jackie Brown"
Wenn man sich überlegte, in welchen Tarantino-Film man die eigene Freundin am ehesten mitnehmen würde, wäre es höchstwahrscheinlich „Jackie Brown.“ Bei all ihrer Brillanz sind „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“ oder „Inglourious Basterds“ doch in erster Linie Jungsfilme. Die Kombination aus derben Dialogen, Gewaltausbrüchen und übercoolen Figuren würde bei einem weniger talentierten Regisseur wahrscheinlich ins Peinliche driften. Und das tut sie ja auch regelmäßig – in den Werken der vielen Tarantino-Epigonen.
Was das Original angeht, so bleibt er vorerst allein in seiner Nische. Ob sein Hypertext-Kino in den nächsten Jahren ausgereizt ist, wird sich zeigen. Bevor es so weit ist, überrascht er uns wahrscheinlich alle mit einer Jane-Austen-Verfilmung. Dass es langweilig wird, ist unwahrscheinlich.