Essen. Manche Schauspieler verliert man aus den Augen, weil die Filme mit ihnen bei uns nicht mehr ins Kino kommen. Bernadette Lafont ist so ein Fall. Ihre Filme aus den 60-er Jahren kennt man, weil es damals eine ganz andere Kinokultur gab. Jetzt sieht man sie endlich in „Paulette“ wieder.

Die alte, etwas verbiestert wirkende Dame, die das Poster der neuen französischen Komödie „Paulette“ ziert, ist Bernadette Lafont. Im Alter von 22 Jahren war sie 1960 von Claude Chabrol fürs Kino entdeckt worden. Sie spielte an der Seite von Eddie Constantine und Jean-Paul Belmondo und reifte in den 70-er Jahren vom dekorativen Schmuckstück zur ausdrucksstarken Charakterdarstellerin. Was sie bis heute geblieben ist.

Dass man so wenig davon mitbekam, hat allein damit zu tun, dass eben nicht alle französischen Filme für den deutschen Kinomarkt eingekauft werden. Insofern ist es für hiesige Zuschauer ein etwas abruptes Wiedersehen mit einem lange vermissten Star, die nun statt jugendlicher Schönheit eine aus der Not heraus geborene Geschäftstüchtigkeit präsentiert, die nonchalant die Grenzen des Gesetzes überschreitet, denn Paulette verkauft überaus erfolgreich Drogen.

Gesellschaftlicher Absturz

Der Weg dahin ist (auch auf der Leinwand) schnell umrissen. Paulette, einst glücklich verheiratetes Konditoreitalent, stürzte gesellschaftlich ab, als ihr Mann das Geschäft in den Ruin trieb.

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Nun, als Witwe, lebt sie in der Pariser Vorstadt in einem Hochhaus. Die Rente ist knapp, der Speiseplan wird mit Resten vom Wochenmarkt und aus den Mülleimern von Restaurants bestritten; weil sie bei Miete und Stromzahlung nicht nachkam, wurde ihr Hausstand gepfändet. Dann bekommt sie eines Tages mit, was wirklich in der Nachbarschaft so vor sich geht. Entschlossen spricht sie beim örtlichen Dealer vor, bekommt ihr erstes Paket für den Verkauf und erzielt auf Anhieb die besten Umsätze im Viertel. Die neue Karriere nimmt Fahrt auf.

Entwaffnende Reibeisenstimme

Es ist schon ein unverfrorenes Stück Unmoral, mit dem Regisseur Jérôme Enrico hier aus sozialer Not eine kriminelle Tugend formt, von der alle profitieren können, wenn sie sich den Sinn für Takt und Manieren bewahren. Wenn Bernadette Lafont mit aufblitzendem Ehrgeiz und (im Original) entwaffnend rostfreier Reibeisenstimme jugendliche Straftäter, Kunden und Polizisten mit Deals, die nicht abzulehnen sind, zähmt oder gleich auf ihre Seite zieht, dann geschieht das mit einer makabren Selbstsicherheit, die hierzulande nur bei Christiane Hörbiger zu finden ist.

Dass „Paulette“ als Film auch nicht viel mehr als solides Fernsehniveau erreicht, ist fast schon verzeihlich, wenn Buch und Darsteller sich so inspiriert für eine bessere Welt einbringen.