Essen. . 14 Jahre nach dem Dogma-Werk „Das Fest“ hat Filmemacher Thomas Vinterberg ein Gegenstück erarbeitet. Sein Film „Die Jagd“ mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle zeigt die Folgen eines Missbrauchsvorwurfs. Vinterberg positioniert den Zuschauer in die Rolle des situationsüberlegenen Beobachters und kann so ungestört seine Strippen der emotionalen Manipulation ziehen.

Thomas Vinterberg sorgt wieder einmal für Gesprächsstoff. 14 Jahre nach seinem berühmten Dogma-Werk „Das Fest“, in dem eine Geburtstagsfeier zum Szenario einer peinlichen Enthüllung von Kindesmissbrauch in der eigenen Familie wurde, hat er nun mit seinem neuen Film „Die Jagd“ ein Gegenstück erarbeitet. Der Missbrauch findet diesmal gar nicht statt, er ist eine Behauptung aus dem Munde eines enttäuschten Mädchens von fünf Jahren.

Dabei findet Klara ihren Erzieher Lucas aus dem Kindergarten ganz toll, weil der sie auch schon mal nach Hause begleitet, wenn die Eltern gerade abkömmlich sind. Deshalb hatte sie ihm eine Blume gemalt und dazu ein Küsschen auf den Mund gegeben. Wieso aber freute sich Lucas nicht über das Geschenk? Wieso sagte er, dass Klara die Blume lieber ihrer Mutter schenken soll? Klara kann das nicht verstehen, sie ist einfach nur bitter enttäuscht. Und deshalb geht sie zur Leiterin des Kindergartens und plappert das nach, was sie in einem Video sah, das der ältere Bruder ihr am Vorabend vor die Nase hielt.

Ungeheure Beschuldigung

Klara erzählt, dass Lucas ihr im Waschraum sein Geschlechtsteil gezeigt habe. Die ungeheure Beschuldigung löst Beklemmung aus, dann schlägt das Misstrauen Wurzeln. Keine 24 Stunden danach ist der frühere Lehrer Lucas, der von seiner Frau in Scheidung lebt, dessen halbwüchsiger Sohn aber bald zu ihm ziehen darf, als Kinderschänder gebrandmarkt; und die Welle des Hasses brandet gerade erst hoch.

Ein Film mit Reizthema ist immer problematisch, weil nur zu gerne das Thema über das Werk erhoben wird, wie es in den Kulturmagazinen der Vorwoche zu beobachten war. Dabei geht es Vinterberg nicht um das Verbrechen, er stellt vielmehr das Phänomen einer sich selbst erfüllenden Vorhersage ins Zentrum und wählt als Identifikationsfigur den zu Unrecht Verdächtigten, den Mads Mikkelsen mit einer anrührenden Verletzlichkeit spielt. Man muss einfach zu ihm halten, und in einem amerikanischen Film wäre das auch so.

Mikkelsen auf einsamen Posten

Aber bei Vinterberg verhält sich das Verleumdungsopfer aufreizend lange passiv, was sich erst spät im Film erklärt; Lucas ist kein Zugezogener, er war schon immer Teil dieser dänischen Kleinstadtgemeinschaft, wo die Männer zur Jagd gehen und die Frauen sich als unfehlbares Muttertier begreifen. Wie sehr dieses Klima jovialer Nachbarschaftlichkeit von politischer Korrektheit und Über-Fürsorge unterhöhlt ist, wie schnell Heuchelei und Hass daraus hervorbrechen können, das vollzieht sich binnen weniger Filmminuten.

Vinterberg positioniert den Zuschauer in die Rolle des situationsüberlegenen Beobachters und kann so ungestört seine Strippen der emotionalen Manipulation ziehen. Mikkelsen steht wie der Sheriff in „High Noon“ auf recht einsamem Posten und es ist leicht, sich gegenüber den Feiglingen und Verurteilern moralisch überlegen zu fühlen. Für die Kernfrage, wie man sich wohl selbst gegenüber einem solchen Manne verhalten hätte, lässt der Film nicht viel Raum zur Deutung. Das aber macht er sehr geschickt.