In Indien entstehen lange Filme, das haben wir seit dem Bollywood-Boom gelernt. Auch „Mitternachtskinder“ von Deepa Mehta kommt auf rund zweieinhalb Stunden. Aber das reicht noch lange nicht, um der komplexen Romanvorlage von Salman Rushdie gerecht zu werden.


Große Bücher bringen nicht zwangsläufig große Filme hervor. Oftmals ist es die komplexe Erzählweise des geschriebenen Wortes, die Vielfalt der Figuren und das Spiel mit Zeit- und Handlungsebenen, die es einem Film unmöglich machen, der literarischen Vorlage gerecht zu werden. Wie sich solches auswirken kann, zeigt Deepa Mehtas Kinoadaption des Weltbestsellers „Mitternachtskinder“ von Salman Rushdie.

Exakt um Mitternacht, am 15. August 1947 kommt Saleem Sinai zur Welt. Zum gleichen Zeitpunkt feiert Indien die Stunde der Unabhängigkeit. Dann wird das Baby aus armem Hause mit einem anderen Baby vertauscht und fortan sind sein Schicksal und das seiner Familie eng verknüpft mit der Geschichte des Landes. Was passiert nicht alles in den rund zweieinhalb Stunden Spielzeit. Die Unabhängigkeit des Landes, die Abspaltung Pakistans, aus dem sich später wiederum der Staat Bangladesh herauslösen wird; dazu zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen, Konflikte zwischen Arm und Reich, Moslems und Hindus, außerdem diverse Liebesgeschichten und Familienkonflikte.

Gewaltiges Kaleidoskop

Salman Rushdies Weltroman aus dem Jahre 1981, der aber erst 1997 in deutscher Übersetzung auf den Markt kam, ist ein gewaltiges, sich über 60 Jahre erstreckendes Kaleidoskop menschlicher Schicksale vor dem Hintergrund gewaltiger historischer Umwälzungen, angereichert mit einer Sprache voller Verbildlichungen und Ausschmückungen sowie phantastischen Elementen orientalischer Prägung. Um all dem allein zeitlich gerecht zu werden, wäre ein Mehrteiler vermutlich die beste Lösung gewesen.

Fürs Kino aber wählte man den Weg der Verkürzung, was hier auch mit Vereinfachung gleichzusetzen ist. Gemessen am sprachlichen und erzählerischen Reichtum der Vorlage nimmt sich „Mitternachtskinder“, der Film, wie eine Comic-Version im Stile der „Illustrierten Klassiker“ aus. Was insofern nicht verwundert, da Salman Rushdie selbst das Drehbuch verfasste; weder scheint er mit dem Medium Film hinreichend vertraut gewesen zu sein, noch konnte er die nötige Distanz zum eigenen Werk finden.

Malerische Postkartenwelten

So wirkt der Film nun wie ein Ansteuern besonders markanter Handlungspunkte, was im Einzelnen reizvoll gelingt, aber nicht zu einem fesselnden Gesamtwurf findet. Die kanadisch-indische Regisseurin Deepa Mehta („Bollywood/Hollywood“) liefert dazu malerische Postkartenwelten, erreicht aber zu keiner Zeit den epischen Atem etwa von Richard Attenboroughs „Gandhi“ oder die intensive Dichte von Danny Boyles „Slumdog Millionär“. Ihr Film ist ein exotisches Bilderbuch, das den magischen Realismus des Romans für gefälligen, gefühligen Sofortverzehr aufbereitet.