. . Von wem sind eigentlich William Shakespeares Stücke? Roland Emmerich präsentiert mit Rhys Ifans und zahlreichen Jungdarstellern mit lockigem Haar in „Anonymus“ einen Lösungsvorschlag - ein Katastrophenfilm für Theatergänger!

Niemand wird abstreiten können, dass Roland Emmerich sich einen gewissen Ruf erworben hat als Regisseur von Filmen mit großem Destruktionsgehalt. Katastrophen à la Emmerich stellten die Erde nicht selten vor globale Probleme.

Mal war es die Invasion feindlicher Aliens, mal eine urplötzlich um sich greifende neue Eiszeit und dann, in „2012“, der Beinahe-Untergang des Planeten durch Erdkrustenverschiebung. Nun hat Emmerich mit „Anonymous“ den Katastrophenfilm schlechthin für Theatergänger geschaffen. William Shakespeare, so die These, hat gelebt, war jedoch in keiner Weise Autor auch nur eines der ihm zugeschriebenen Stücke.

Mutmaßungen in diese Richtung hat es natürlich schon seit langem gegeben. Aus einer solchen Behauptung jedoch einen derart eleganten Film zu machen, das war Roland Emmerich vorbehalten. Seit 2007 ist der Regisseur mit Hollywood-Erfahrung bereits Mitglied der „Shakespeare Authorship Coalition“. Die bietet all jenen ein Podium, die so ihre Zweifel hegen, ob der schauspielernde Sohn eines Handschuhmachers tatsächlich solche Verse verfassen konnte, wie wir sie aus „Romeo und Julia“ oder dem „Sommernachtstraum“ kennen. Emmerich gibt dem realen Shakespeare keine Chance: Bei ihm ist dieser William (Rafe Spall) ein trunkener, geistig eher eingeschränkter Mime, der im richtigen Moment seinen Namen hergibt für den tatsächlichen Autor.

Ein aufregendes Thema - auch für Menschen, die nicht ins Theater gehen

„Anonymous“ folgt dabei der häufig zitierten Spekulation, dass der wahre Verfasser von Stücken wie „Hamlet“ oder „König Lear“ tatsächlich Edward de Vere, der Earl of Oxford, gewesen sein müsse. Als Angehöriger des Adels und gern gesehener Gast am Elisabethanischen Hof, sei es ihm unmöglich gewesen, seine Lust an ausgefeilter Sprache öffentlich zu machen. Der Waliser Rhys Ifans darf aus diesem Edward denn auch den Genius schlechthin formen, einen unermüdlichen Wortschöpfer und Verseschmied, dem man beim Jubel des Publikums den Schmerz anmerkt, den es ihm bereitet, sich nicht zu seinen Dramen bekennen zu dürfen.

Insofern ist dieser Film genau das, was man von jemand wie Emmerich erwarten durfte: ein aufregendes Thema, das als Filmerzählung selbst jene interessieren dürfte, die Theater gemeinhin nur in architektonischer Hinsicht wahrnehmen. Eine solch feinfühlige Inszenierung allerdings hätte man dem Weltenzerstörer denn doch nicht zugetraut. Obwohl hauptsächlich in den Studios von Babelsberg gedreht, lässt Emmerich vor uns ein England des 16. Jahrhunderts entstehen, das in jeder Beziehung authentisch wirkt – vom überzeugenden Globe Theatre bis zum knöcheltiefen Matsch auf den Straßen, vom Königshof bis in die bittere Armut der Seitengassen.

Zahlreiche ähnlich aussehende Jungdarsteller mit lockigem Haar

Drehbuchautor John Orloff hat die wilde Shakespeare-Spekulation eingebettet in die wüsten Intrigen jener Tage am englischen Königshof. Dort muss Elisabeth I. (Vanessa Redgrave) erfahren, dass ihre engsten Berater daran arbeiten, den schottischen König James VI. auf den englischen Thron zu hieven. All diese Händel wollen vom Zuschauer zunächst einmal durchschaut werden, was gelegentlich durch Rückblenden innerhalb von Rückblenden und zahlreiche ähnlich aussehende Jungdarsteller mit lockigem Haar nicht gerade erleichtert wird.

Wer allerdings dran bleibt, der steht am Ende entgeistert vor familiären Beziehungen, die ohne Inzucht nicht denkbar wären. Da fehlen selbst einem eloquenten Menschen wie Edward de Vere die Worte.