Berlin.

In diesem Jahr, da sich die Konkurrenz auf der Berlinale bisher als derart mäßig er­wiesen hat, wirkt Asghar Farhadis „Nader und Simin, eine Trennung“ über den Iran beinahe wie eine Er­lösung.

Es kommt der Moment bei jeder Berlinale, da meinen plötzlich alle, jenen Film im Wettbewerb ausgemacht zu ha­ben, dem der Goldene Bär am Ende geradezu zwanghaft zugesprochen gehöre. Meist schwirren da zwei, drei Titel durch die Luft. In diesem Jahr je­doch, da sich die Konkurrenz bisher als derart mäßig er­wiesen hat, wirkt Asghar Farhadis „Nader und Simin, eine Trennung“ beinahe wie eine Er­lösung. Dass der Film aus dem Iran stammt, verwundert dabei nicht bei einem Festival, das von den Vorgängen in diesem Land permanent überschattet wird. Unvergessen ist noch immer jener Moment, da die Jury-Präsidentin Isabella Rossellini das Grußwort ihres inhaftierten Mit-Jurors Jafar Panahi verlas: „In meinen Träu­men schreie ich nach ei­ner Zeit, in der wir uns gegenseitig tolerieren und unsere Meinungen respektieren.“

Panahis Landsmann und Freund Farhadi darf sich im­merhin als freier Künstler vor der internationalen Pres­se in Berlin äußern. Er vermeidet tunlichst politische Statements gegen das Regime in Te­heran, aber seine Worte haben Sprengkraft: „Ich glaube, die Welt heutzutage braucht eher Fragen als Antworten.“ Sein Film nimmt genau diese Haltung ein: Keine eindeutige Identifikationsfigur, dafür umso mehr Charaktere mit unterschiedlichen Haltungen und Problemen. Naders Ehefrau Simin etwa, eine moderne Mittelstands-Iranerin, möchte mit der Familie das Land verlassen, damit die elfjährige Tochter nicht „un­ter diesen Bedingungen“ aufwachsen muss. Nader je­doch weigert sich und hat ei­nen guten Grund – seinen an Alzheimer erkrankten Vater, den er nicht im Stich lassen will. Eine Trennung ist unvermeidlich.

Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln

Die Dinge verkomplizieren sich, als der Sohn eine Pflegerin für den Vater engagiert, von der er nicht weiß, dass sie im vierten Monat schwanger ist. Was uns normal erscheint, ist im Iran ein Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln: Verheiratete Frauen dürfen ei­gentlich nicht arbeiten und schon gar nicht einen Mann betreuen, dessen Körper sie entblößen müssen, um ihm die Windeln zu wechseln. Wie unschwer zu erkennen, tobt in diesem zutiefst humanen Film der Kampf zwischen Tradition und Moderne. Aber derart bravourös auf die tragischen Einzelschicksale hin inszeniert, dass die Zensur ihn hat passieren lassen müssen. Wenn die Hoffnung des Regisseurs sich bewahrheitet, wird er bald in 50 iranischen Kinos anlaufen.

Dieses Glück wird dem „Turiner Pferd“ des ungarischen Autorenfilmers Béla Tarr sicher nicht zuteil. Wer die strengen Filme dieses Regisseurs kennt, ist gewappnet: Zweieinhalb Stunden nehmen wir teil an den immer gleichen Tagesabläufen eines alten Bauern und seiner Tochter in sturmdurchtoster Puszta, während die Welt sich unaufhaltsam mehr und mehr verdunkelt. Wer sich auf Tarrs entschleunigten Rhythmus einlässt, darf schwarz-weiße Bildmalereien vom Feinsten genießen, hört den Wind sich vermählen mit Musikschleifen, die von Streichern und Orgeln angetrieben werden. Feinkost für den Liebhaber fürwahr, die aber in der Gourmet-Abteilung des Forums besser aufgehoben wäre.