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Beatles-Fans werden diesen Film womöglich mit Skepsis betrachten. Weil er schon aufhört, als eigentlich alles erst anfängt – mit der Reise nach Hamburg. „Nowhere Boy“ konzentriert sich auf die Jugendjahre von John Lennon.
Man kann natürlich beschließen, dass das Wesen eines der größten Musikgenies des 20. Jahrhunderts sogar im Dickicht von Verwertungsrechten und Starkult, von Mythos und Anbetung inzwischen so gründlich durchleuchtet ist, dass man schon sehr weit zurückblicken muss, um noch etwas Neues zu erzählen. Regisseurin Sam Taylor-Wood, bisher vor allem als Fotografin und Konzeptkünstlerin in Erscheinung getreten, hat sich John Lennon jedenfalls auf große zeitliche Distanz genähert. Ihr Spielfilmdebüt „Nowhere Boy”, das in jener Woche in die Kinos kommt, in der die Welt des 30. Todestags der Musiker-Ikone gedenkt, ist eher ein verfilmter Entwicklungsroman, der sich mehr für die Verletzungen und Schwächen als für die Erfolge seines Stars interessiert. Die Verknüpfungen von Kunst und frühen Jugenderfahrungen bleiben freilich etwas lose.
Man neigt dazu, eine Geschichte wie diese vom dramatischen Ende her zu denken: Den tödlichen Schüssen im Dakota-Building am 8. Dezember 1980, dem verrückten Attentäter Mark David Chapman und der weltweiten Bestürzung über den Mord an einem, der die „Beatlemania“ auslöste.
Aber Taylor-Wood fängt vorne an. Im Liverpool der 50er-Jahre, wo ein vorwitziger Lümmel mit Nickelbrille und dunkler Stirnlocke (Aaron Johnson) von der wichtigsten Frau in seinem Leben früh im Stich gelassen wird: von Mama. 1970 wird Lennon ein Lied darüber schreiben, „Mother”. Den traurigen Versen „Mutter, du hattest mich, ich hatte dich nie” geht eine schwierige Familiengeschichte voraus: John lebt seit früher Kindheit bei Tante Mimi, von Kristin Scott Thomas in ein eisernes Gefühlskorsett gesperrt. Erst später erfährt er von der Existenz seiner Mutter Julia (Anne-Marie Duff), die ihn früh weggegeben und eine neue Familie gegründet hat. Und er verfällt dem ungestümen, unsteten Wesen dieser temperamentvollen Frau mit backfischartiger Bewunderung. Sie bringt ihm das Banjospielen bei, steckt ihm Geld zu, als Tante Mimi die Gitarre wegen schlechter Noten ins Pfandhaus trägt. Sie wird so etwas wie ein früher Groupie des aufmüpfigen John, die mit ihrem quirligen Charme auch einen blassen Milchbubi mit Nelke im Knopfloch bezirzt: den jungen Paul McCartney.
Inspiriert worden ist die Regisseurin dabei wesentlich von Philip Normans 2008 erschienener Beatles-Biographie, die sich tief in die musikalischen Entwicklungen und seelischen Verwerfungen des „Working Class Hero“ eingearbeitet hat und dabei auch das aufarbeitete, was man gemeinhin Ödipus-Komplex nennt. So schimmert „Nowhere Boy” mehr in den gedeckten Farben eines etwas nostalgisch anmutenden und nuanciert gespielten Familienmelodrams anstatt die kräftigen Töne eines Musikfilms anzuschlagen. Und findet – wenn man Vergleiche sucht – eher bei „Billy Elliot“ Anschluss als bei Anton Corbijns Ian-Curtis-Biografie „Control“.
Auf der Dorfwiese
Schon die konventionelle Kameraführung trennt den Film von jenem künstlerischen Aufbegehren, mit dem Beatles-Gründer Lennon wenige Jahre später Teenager in Ohnmacht fallen und Eltern in Verzweiflung stürzen lässt. Und was neben Mamas Banjo-Begeisterung so wichtige Vorbilder wie Elvis Presley beim jungen John auslösen, klingt eher am Rande an. Dafür sieht man irgendwann ein paar Halbstarke mit Gitarre und Waschbrett, die auf einer Truck-Ladefläche Skiffle-Musik machen. Es ist die Ouvertüre eines Mythos’, den Taylor-Wood noch einmal auf die Dorfwiese zurückholt.