Essen.. Der böse Mr. FBI – Leonardo DiCaprio unter meisterhaftem Einsatz der Maskenbildner als legendärer FBI-Chef, der mit Hilfe seiner Geheimakten und Dossiers nicht weniger als acht Präsidenten überlebte. Die etwas altmodische Filmbiografie von Clint Eastwood läuft in dieser Woche in unseren Kinos an.

Als George Clooney 2006 mit „Good Night, and Good Luck“ einen Film über die McCarthy-Ära in den USA der 1950er-Jahre zeigte, da waren viele Kritiker zu Recht der Meinung, dass man „vordergründig zwar ein Historienstück über den gefürchteten Kommunistenjäger zu sehen bekam, aber verdeckt auch eine Parabel auf die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten in den heutigen USA“.

Wenn Regie-Altmeister Clint Eastwood in dieser Woche mit „J. Edgar“ nun die Biografie des wohl zweitberühmtesten amerikanischen Kommunistenhassers in unsere Kinos bringt, ist nicht so offensichtlich, wie viel dieser Film über unsere Gegenwart sagt.

Ein Leben im Rückblick

Natürlich mag man sich vorstellen, wozu dieser fanatische Anti-Bolschewist und glühende Patriot heute in Zeiten der terroristischen Bedrohung wohl fähig wäre. Doch das Politische tritt bei Eastwood so weit hinter dem Privaten zurück, dass dieser Hoover-Film als Studie einer nationalen Paranoia wenig taugt. Es ist vielmehr eine etwas anachronistische, eher altersmilde Analyse über Macht, Moral und Männlichkeit.

Eastwood bedient sich dabei einer Erzählweise, die bei historisch heiklen Figuren besonders gut funktioniert: Er entwickelt die Geschichte des umstrittenen FBI-Chefs von innen heraus, als persönlichen Rückblick: J. Edgar Hoover, der von Leonardo DiCaprio über eine Altersspanne von mehr als 50 Jahren mit enormen Masken-Aufwand und erkennbaren Oscar-Ambitionen dargestellt wird, diktiert am Ende seiner Dienstzeit, in der er acht Präsidenten überlebte, seine Memoiren.

Schaumschläger Hoover

Wie sehr dieser skrupellose Spürhund und fanatische Geheimakten-Anleger zeitlebens an der eigenen Legende gebastelt hat, daran lässt Eastwood keinen Zweifel. Und obwohl über Hoovers Psyche und Privatleben bis heute wenig bekannt ist, zieht der Film dabei schonungslos Bilanz: Da brüstet sich Hoover mit der Aufklärung spektakulärer Kriminalfälle, an denen er kaum beteiligt war. Lässt sich für Festnahmen feiern, die Kollegen übernommen haben. Und nimmt die Entführung des Lindbergh-Babies als Freibrief, den größten und modernsten Bundespolizei-Apparat aufzubauen, aber auch ein gefürchtetes Überwachungssystem, mit dem Hoover Kommunisten, Kriminelle, Intellektuelle und Schwarze verfolgte – und zur Not auch die eigenen Präsidenten erpresste.

Dustin Lance Black


Das Drehbuch zu „J. Edgar“ stammt von Dustin Lance Black (37), der seit dem Kino­erfolg von „Milk“ in Hollywood als Spezialist für homosexuelle Lebensläufe gilt. „Milk“, mit Sean Penn in der Hauptrolle als schwuler Menschrechtsaktivist Harvey Milk, bescherte Black 2009 den ersten Oscar.

DiCaprio füllt diese tiefen Identitätsgräben zwischen Muttersohn und Machtmensch mit großem Charisma, ist verbindlich und unnahbar, gewieft und verunsichert. Ein Außenseiter und Einzelkämpfer, der bei aller Liebe zu Macht und Nation doch immer ein weit entfernter Planet im Machtkosmos Washington bleibt. Den Paraden der Präsidenten gönnt er nur einen flüchtigen Blick vom Balkon seines FBI-Büros. Beim Antrittsbesuch klemmt er sich dann eine seiner berüchtigten Geheimakten unter den Arm – und bleibt im Amt.

Unerfüllte Liebe

Nur zwei Menschen sollen den Inhalt seiner Giftschränke gekannt haben: Seine Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts) und sein lebenslanger Getreuer Clyde Tolson (Armie Hammer), von dem man bis heute nicht weiß, ob er nur politische oder auch intime Geheimnisse mit Hoover geteilt hat. Im Film wird daraus eine große, anscheinend aber unerfüllte Liebesgeschichte.

Nur einmal wagt sich die Kamera bis ins Schlafzimmer vor. Hoover liegt tot auf dem Boden, mit 77 gestorben an einem Gehirnschlag. Der letzte Liebesdienst seines Freundes Clyde ist eine übergeworfene Decke. Bloßgestellt soll in diesem Film niemand enden.