New York. .
Er mache immer noch die gleichen Fehler wie früher, sagt Woody Allen – er sehe und höre sie nur nicht mehr so gut. Im Interview zu seinem 75. Geburtstag am Mittwoch spricht der Kino-Altmeister über den Sinn des Lebens und feige Auswege.
Alle Jahre wieder ein neuer Woody Allen: In seinem 41. Film „Ich sehe den Mann deiner Träume” beschäftigt sich der „Stadtneurotiker“ mit seinem Lieblingsthema: dem (Un-)Sinn des Lebens. Am Mittwoch, einen Tag vor dem Start seines neuen Films, feiert der Altmeister seinen 75. Geburtstag feiert.
Mister Allen, Sie feiern nun Ihren 75. Geburtstag - wie geht es Ihnen dabei?
Woody Allen: Es gibt keinerlei Vorteile, älter zu werden. Ich mache noch immer die gleichen dummen Fehler, die ich mit jungen Jahren gemacht habe. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass ich sie heute nicht mehr so gut sehen und hören kann. Man wird im Alter nicht weiser, aber der Rücken schmerzt zunehmend, man hat Verdauungsprobleme und ein Hörgerät.
Ist der 41. Film schwieriger als der erste?
Allen:Im Lauf der Jahre bekommt man mehr Erfahrung und wird besser - nicht sehr viel besser, aber wenigstens ein bisschen. Die Probleme des Filmemachens bleiben allerdings dieselben. Das kann man nicht lernen. Beim ersten Film ist man ein totaler Amateur. Und bei seinem 20. Film ist man es noch immer. Deshalb passiert es, dass großartige Regisseure bei ihrem 50. Werk noch ein totales Desaster erleben können. Jedes Projekt bringt so viele unvorhersehbare Probleme, dass jedes Mal wie beim ersten Mal ist.
Sie beklagen nicht selten die schwierige Finanzierung Ihrer Film, woran liegt das?
Allen:Die großen Studios kümmern sich heute nur noch um die großen Profite. Zu meiner Anfangszeit freuten man sich über kleine Gewinne eines Robert Altman. Heute heißt es: Warum sollen wir Zeit mit Woody verschwenden, wenn andere Filme 400 Millionen Dollar Gewinn abwerfen? Statt mir 15 Millionen zu geben, gibt man lieber jemand anderem 115 Millionen, weil die Profitchancen viel größer sind. Dieses Denken schadet dem Kino. Kollegen, die mit mir begonnen haben, hätten heute eine sehr schwere Zeit.
Apropos schwere Zeit: Was wäre der Sinn des Lebens im Leben des Woody Allen?
Allen:Der Sinn besteht für mich darin, zu arbeiten und nicht zu viel über die Dinge nachzudenken. Denn wer nachdenkt erkennt, wie schmerzhaft doch alles ist - und wie wenig man dagegen tun kann. Man kann ein bisschen etwas tun, aber eben nicht sehr viel. Mein persönlicher Trick besteht in der Flucht in die Arbeit. Als kleiner Junge floh ich ins Kino, um Film zu sehen. Heute ist meine Fluchtmöglichkeit, diese Filme zu drehen. Ich gebe zu, dass dies ein ziemlich feiger Ausweg ist.
Wie wichtig ist die Flucht in die Illusion für Sie?
Allen:Nietzsche sagte einmal, man dürfe das Leben nicht zu genau betrachten, sonst würde es unerträglich. Wenige Jahre später sagte Sigmund Freud, der Mensch braucht Illusionen zum Überleben. Nicht umsonst entsprechen die Stücke eines Eugene O’Neill genau dieser Denkweise. Das Leben ist schrecklich, schmerzhaft und furchteinflößend. Deswegen sind Illusionen unverzichtbar. Künstler glauben, ihre Arbeit macht sie unsterblich, Eltern hoffen dasselbe bei ihren Kindern - aber das sind alles Illusionen. Letztlich ist es so: Man wird geboren, lebt eine gewisse Zeit und stirbt. Es gibt keine Bedeutung für irgendetwas, weil alles irgendwann endet. Die Sonne erlöscht, die Erde verschwindet. Würde man in die Zukunft in ein paar Millionen Jahren blicken, wäre nichts vorhanden.
Hat das Leben als solches nicht schon eine gewisse Bedeutung?
Allen:Der Mensch sucht nach einer Bedeutung, das ist in ihm angelegt. Niemand gefällt der Gedanke, ein bedeutungsloses Leben zu führen wie ein Tier oder eine Pflanze. Aber wenn man die Sache realistisch betrachtet, dann existiert solch eine Bedeutung einfach nicht. Das macht depressiv, deswegen sollte man besser nicht zuviel darüber nachdenken. In Amerika setzten viele ihre Hoffnung in Priester, in Psychoanalytiker, in Wahrsager oder in Vitamine und gesunde Ernährung. Das mag ihr Leben ein paar Jahre verlängern. Aber es gibt ihm dennoch keine Bedeutung. Die Aufgabe der Künstler besteht darin, herauszufinden, weshalb sich das Leben lohnen könnte - was aus meiner Sicht allerdings noch keinem gelungen ist.
Müsste man Angst haben, dass Sie nach der nächsten Frage aus dem Fenster springen?
Allen:Nein, der Mensch hat einen Instinkt zum Leben. Würde jetzt ein Gangster in diesen Raum kommen und seine Waffe an meinen Kopf halten, hätte ich panische Angst. Ich würde alles tun, um am Leben zu bleiben. Man könnte einwenden, wenn alles so bedeutungslos sei, dann wäre doch egal, ob ich erschossen würde. Aber in jedem von uns steckt einfach dieser Überlebenswille - ganz gleichgültig, wie sinnlos man das Leben intellektuell betrachtet.
Welche Rolle spielt die Religion für Sie?
Allen:Ich wuchs in einem jüdischen Elternhaus auf, aber die Religion meiner Eltern hat mir nie etwas bedeutet. Auch anderen Religionen konnte ich nie etwas abgewinnen. Allerdings waren all diejenigen, die ihren Glauben hatten, immer viel glücklicher als ich. Vor einigen Jahren war ich mit dem Evangelisten Billy Graham im Fernsehen. Er sagte zu mir: ‚Selbst wenn Sie Recht haben, und es keinen Gott gibt, dann bin ich noch immer glücklicher als Sie.’ Dem kann man nicht widersprechen.
Immerhin wirkt Ihre aktuelle Filmheldin Helena nicht gänzlich unglücklich?
Allen:Um in diesem Leben glücklich zu werden, muss man Methoden entwickeln, die Wahrheit zu verdrängen. Helena macht das auf eine lächerliche Art. Aber jeder findet eben seinen eigenen Weg. Wer morgens denkt, das Leben ist ganz schrecklich, der wird nicht aus dem Bett kommen und nicht funktionieren. Deshalb denkt man, ich muss heute dieses Interview geben und es ist ganz wichtig, dass dieses Gespräch sehr gut wird - aber eigentlich ist es gar nicht so wichtig. (lacht).
Wann waren die glücklichsten und wann die unglücklichsten Zeiten in Ihrem Leben?
Allen:In den letzten Jahren war ich am glücklichsten. Aber das ist ein Zufall. Die meisten Menschen sind glücklicher in ihrer Jugend. Mein Leben hat eine gute Wendung genommen seit ich meine Frau kennengelernt habe. Mir ist immer bewusst, dass dies nur temporär ist und nicht ewig so sein wird. Das ist eine dunkle Wolke, die man ständig wegschieben muss. Um es mit dem Dichter Ovid zu sagen: Es ist wie der Donner, den man bei einem Picknick hört.
Wie kam es zur Besetzung von Frankreichs First Lady Carla Bruni für Ihren nächsten Film?
Allen:Ich kannte sie vorher gar nicht, dann schlug sie jemand für die Rolle vor und ich war begeistert. Ich brauchte eine gutaussehende, intelligente und sprachgewandte Frau, die eine Mitarbeiterin im Museum spielen konnte. Carla Bruni entsprach genau meinen Vorstellungen. Sie ist groß und attraktiv, sie ist intelligent und verfügt über eine charmante Persönlichkeit.
Wie haben Sie die Frau des französischen Präsidenten zum Auftritt überredet?
Allen:Zunächst hatte ich gar nicht geglaubt, dass sie diese Rolle annehmen würde. Aber dann fragte ich sein einfach und sie meinte: ‚Ja, das mache ich sehr gern’. Also habe ich sie besetzt, zusammen mit Owen Wilson, Adrien Brody, Kathy Bates und Marion Cotillard.
Stört es Sie nicht, dass Madame gar keine Schauspielerin ist?
Allen:Stimmt, sie ist keine Schauspielerin. Aber sie besitzt Bühnenerfahrung und sie wirkt theatralisch. Wenn es mit dem Schauspielen dennoch nicht funktionieren sollte, dann rufe ich Sie an - und Sie entlassen sie bitte für mich. (lacht)