Essen. .

Kim-Hye-ja gilt als die große alte Dame des koreanischen Fernsehens, eine Art Inge Meysel Koreas. In „Mother“ entwickelt sie nun eine ungeheuer explosive Kraft als Mutter, die ihren Sohn retten möchte.

Es kommt nicht oft vor, dass ein koreanischer Film in unsere Kinos kommt. Im Fall von „Mother” liegt es am Ruf des Regisseurs Bon Joon-Ho, dem zuletzt mit „The Host” ein Monsterfilm gelang, der zwar Querverweise auf viele Vorbilder enthält, der aber anders ist als alles, was man auf diesem Sektor bisher gesehen hat.

Joon-Hos Filme erzählen von der Bedeutung familiären Zusammenhalts. In „The Host” finden die Mitglieder eines disfunktionalen Familienverbandes wieder zusammen, als es um die Rettung eines jungen Mädchens geht, das von einem aus dem Giftmüll heraus geborenen Ungeheuer entführt wurde. In „Mother” nun will eine namenlos bleibende Mutter nicht akzeptieren, dass ihr leicht zurückgeblieben wirkender Sohn Yoon Do-Joon ein junges Mädchen ermordet haben soll.

Befremdliche Mutter-Sohn-Beziehung

Die zierliche Frau, die sich mit illegaler Akupunktur ein Zubrot verdient, entwickelt eine explosive Kraft, wenn es darum geht, der Polizei auf die Nerven zu gehen oder ihrem Sohn einen teuren Anwalt zu besorgen. Den sie jedoch sofort wieder feuert, als sie dessen Desinteresse zu spüren glaubt. Die Mutter wird von Kim Hye-ja gespielt, der großen alten Dame des koreanischen Fernsehens. Über 20 Jahre spielte sie die verständnisvolle, patente Mutter in einer populären TV-Serie, was ihr einen Ruf einbrachte, der dem von Inge Meysel in Deutschland ähnelt.

Aber so wie auch die Meysel gelegentlich fast manische Züge zum Ausdruck brachte, so wird auch das Geschehen um „Mother” mit der Zeit im-mer düsterer. Schon was wir von der Beziehung zwischen Mutter und Sohn mitgeteilt bekommen, wirkt befremdlich. Wozu eine entschlossene Frau fähig ist, das erfahren wir erst, als „Mother” beschließt, die Hintergründe des Mords zu recherchieren. Schon bald findet sie heraus, dass die Tote ungewöhnlich viele Männerbekanntschaften pflegte, die sie per Handy dokumentierte.

Atemlose Spannungsszenen, wie früher bei Hitchcock

Bon Joon-Hos Art des Filmemachens ist allein deshalb schon so erregend, weil er Geschichten erzählt, die alles andere als geradlinig sind. „Mother” beginnt beinahe komödiantisch, um den Sohn und seine Lebensweise zu beschreiben. Fast eine halbe Stunde lässt er sich Zeit, um endlich in den Kriminalfall einzusteigen – und spätestens nach einer Stunde steckt der Zuschauer tief drin in etwas, das voller Geheimnisse und Möglichkeiten scheint. Fast aus dem Stand heraus gelingen dem Regisseur dabei atemlose Spannungsszenen, die man so früher bei Hitchcock bejubelt hat.

Wenn endlich alles klar scheint, ist „Mother” noch eine halbe Stunde vom Ende entfernt. Ein sicheres Zeichen, dass da noch einiges auf den Zuschauer zukommt. Schließlich haben wir es mit einem Muttertier zu tun, das Haifischzähne besitzt. Mit allen Mitteln will sie dem Sohn die Freiheit zurückgeben, damit sie selbst nicht die letzte soziale Bindung verliert, die sie in diesem Leben noch hat. Aufregender kann Kino kaum sein.