Berlin. Martin Scorseses Dokumentarfilm "Shine a Light" über zwei Konzerte der Rolling Stones hat die Berlinale eröffnet. Die Jungs sind immer wieder eine Schau - auch diesmal natürlich
Schluss mit dem Winterschlaf! Der Goldbär und seine Silberbrüder haben sich auf die Hinterbeine gestellt, um Filmgäste aus aller Welt zu begrüßen. Jetzt ist wieder Berlinale-Saison. Gestern Abend eröffnete das weltweit größte Publikumsfestival mit Martin Scorseses Film "Shine A Light". Bis zum 17. Februar wird entschieden sein, welche glücklichen Filmemacher die Trophäen mit nach Hause nehmen dürfen.
Was haben wir in den letzten Jahren nicht alles an Berlinale-Eröffnungsfilmen erlebt und erlitten: Das Spektrum reichte von Scharfschützen-Duellen in Stalingrad ("Enemy at the Gates") über Unfall-Dramen inklusive Autisten-Liebe ("Snow Cake") bis zum Pygmäen-Bestaunen in "Man to Man". Wenn man also berichtete, die aktuelle Berlinale habe mit einem Dokumentarfilm über Dinosaurier eröffnet, würde das keinen wundern.
Und es ist sogar irgendwie wahr. Denn diese Dinos, die Scorsese in seinem Dokumentarfilm begleitet, turnten schon über die Weltbühne, als viele ihrer Anhänger noch in Windeln vor sich hin strampelten.
Richtig: Die Rock-Dinos sind die älteren Herren der Rolling Stones. Zusammen stehen da satt über 200 Jahre auf den Beinen. Und viele Jahre davon auf den Bühnen dieser Welt. "Satt" meint in diesem Falle "weit mehr als . . ." Denn gesättigt an Bühnenluft und Fan-Euphorie scheinen die Stones noch lange nicht.
Das zeigt "Shine A Light" überaus eindrucksvoll. Unter den heißen, grellstrahlenden Bühnenscheinwerfern scheinen Mick Jagger und Co. richtig aufzublühen. "Wir wollen Mick ja nicht verbrennen", mahnte Scorsese, als für die Dreharbeiten die Scheinwerfer der Kameras zu nah an die Bühnenkulisse herangefahren wurden.
Im Mittelpunkt des Films steht ein Konzert, das die Band im Herbst 2006 in kleinerem Rahmen im New Yorker Beacon Theater gab, für die Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Nett anzusehen, wenn die Stones die auch schon in die Jahre gekommene Clinton-Verwandtschaft in die Arme schließen. "Gerade meine Freunde aus den 60er Jahren haben mich angerufen und um Karten angebettelt", erzählt Bill Clinton lachend.
Aber denkste: In den ersten Reihen des aufgezeichneten Konzerts klatschen fast ausschließlich junge Frauen. Old Mick bringt sie ganz schön in Fahrt. Es ist immer wieder verblüffend, welche Power der Oberstone ausstrahlt. Er springt zwei Stunden lang über die Bühne und singt dabei auch noch. Scorsese gelingt es vorbildlich, die Atmosphäre von Power bis Flower in den Songs der Stones herauszustellen. Berührend, wie Keith Richards auf einer zwölfsaitigen Gitarre "As Tears go by" an- und Jagger behutsam einstimmt.
Mit einem Bühnengast spielen die Stones dann einen Blues-Klassiker von Muddy Waters. Mit Bottlenecks werden die Gitarren zum Jaulen gebracht, Jagger bläst die Blues-Harp. Da ist sie wieder, die wunderbare Session-Stimmung, die schon Scorseses "The Last Waltz" 1978 zu einem der besten Konzertfilme überhaupt machte.
Zu Gast in "The Last Waltz" beim Abschiedskonzert von "The Band" war damals u. a. Neil Young. Und der ist diesmal auch in Berlin, um seinen Film "CSNY Deja Vu" vorzustellen. Denn hinter Bernard Shakey, dem Regisseur, der Musik und politischen Protest miteinander verbindet, steckt eigentlich Neil Young.
Neben den Stones gehört die besondere Liebe des Berlinale-Publikums der bonbonbunten Bollywood-Welt. Die Publikums-Vorstellung des herzzerreißenden Melodrams "Om Shanti Om" am Samstag mit Indiens Superstar Shah Rukh Khan war schon nach einer Stunde ausverkauft, so dass eine zweite Vorstellung angesetzt wurde.
Überhaupt wird die Berlinale in den nächsten Tagen ihrem Titel als Film-Marathon alle Ehre machen. Fast 400 Filme sind in den verschiedenen Reihen zu besichtigen. Neben weiblichen Superstars wie Penelope Cruz, Natalie Portman, Isabella Rossellini und Scarlett Johansson haben aus der männlichen Hollywood-Elite John Malkovich, Ben Kingsley und Daniel Day-Lewis ihr Kommen angekündigt.
Und neben den Stones und Neil Young setzt das Festival auch in den kommenden Tagen mit Madonna und Patti Smith auf die scheinbar zeitlose Faszination der Pop- und Rock-Ikonen. Wie sang einst Neil Young? "Hey Hey My My . . . Rock'n'Roll will never die!"