Essen. Die Zeit ist reif für den 1. Feministischen Pornofilmpreis Europa: Das findet zumindest Laura Méritt - Linguistin, Feministin und Sexshop-Betreiberin. Am Samstag wird die "Auster" zum ersten Mal in Berlin verliehen; in Zukunft sollen frauenfreundliche Sexfilme das Etikett "PorYes" erhalten.
Ein Preis für feministische Pornos: Braucht die Welt sowas? Laura Méritt glaubt schon: Die Linguistin, Feministin und Sexshop-Betreiberin will den 1. Feministischen Pornofilmpreis Europa vergeben, und zwar in Berlin - während es bei der "Venus" in den Messehallen unterm Funkturm um ganz und gar nicht feministische Pornographie geht. "PorYes" - im Gegensatz zu "PorNo" heißt das Etikett, das nach Méritts Vorstellung künftig frauenfreundliche Sexfilme bekommen sollen.
So wird Samstagabend im Filmtheater Hackesche Höfe zum ersten Mal die "Auster" an Frauen verliehen, die sich durch "eine sexpositive Darstellung der vielfältigen sexuellen weiblichen Lust" auszeichnen. Nominiert sind Candia Royalle, Annie Sprinkle, Maria Beatty, Shine Louise Houston und, als einzige deutsche Filmemacherin, Petra Joy.
Wofür braucht man einen feministischen Pornofilm-Preis?
Laura Méritt: Den braucht man, weil 99,9 Prozent der herkömmlichen Mainstream-Pornos einfach schlecht und einseitig sind. Wir treten diese Kampagne jetzt los, um das mal zu ändern. Jetzt ist die richtige Zeit.
Warum ist die Zeit jetzt richtig?
Kriterien für das PorYes-Label
Mindestanforderungen für alle Filme, die das "PorYes"-Label bekommen sollen, sind laut Homepage der Initiative "die sexpositive Darstellung weiblicher Lust, das Aufzeigen vielfältiger sexueller Ausdrucksweisen und das maßgebliche Mitwirken von Frauen bei der Filmproduktion". Weitere Kriterien, die die Macherinnen verwirklicht sehen wollen sind:
- "Sex-positive" Grundeinstellung, keine menschen- und frauenverachtenden Darstellungen
- Praktiken in Absprache mit den Agierenden / keine Grenzüberschreitungen
- Ethische Arbeitsbedingungen / Safer-Sex- Einsatz
- Die Agierenden werden in Beziehung zueinander gezeigt, Augen-, Haut-, Hände- und Körperkontakt, "Energieaustausch"
- Emotionen und Liebesbekundungen sind erwünscht, machbar und zeigbar
- Vielfalt der Kamera-Einstellungen, Licht- und Schattenspiel
- Variationen der Sex-Praktiken "in freudvollem Übergang, keine Leistungsschau"; Erweiterung des stereotyp dargestellten Spektrums
- Vielfalt der Körpertypen, Personen verschiedenen Alters, Geschlechtes, sexueller Orientierung und ethnischen Hintergrundes
- Authentische Tonaufnahmen oder Musik, keine "Geschlechtsstererotypen verstärkenden Synchronisationen des Gestöhnes"
- Darstellung von Lust und Freude, Schwerpunkt auf weiblicher Lust und deren Vielfalt
- Keine "schematische Darstellung der sexuellen Höhen-Verlaufskurve, d.h. kein geradliniges Hinarbeiten auf die Ejakulation des Mannes, keine Betonung männlicher Cumshots. Orgasmen sind nicht das einzige Ziel"
- Frauen sind maßgeblich bei der Produktion des Filmes beteiligt, als Produzentin, Regisseurin oder Kamerafrau.
Méritt: Weil zum einen eine ganze Welle von jungen Leuten kommt, die selbst Pornos macht, und weil Frauen offener dazu stehen, dass sie andere Pornos haben möchten. Auch Männer übrigens. Und weil der Boden bereitet ist, durch lange Vorarbeit auch der Frauenbewegung, die natürlich auf das Sexualverhalten Einfluss genommen hat, zum Beispiel auch die „Spielzeuge“ verändert hat. Und jetzt ist das letzte dran, nämlich die Pornos und diese Bilder.
Was ist „feministischer“ Porno?
Méritt: Ein feministischer Porno ist nach besonderen Kriterien gedreht. Die Hauptkriterien: Dass die weibliche Lust überhaupt erst mal dargestellt wird, denn die meisten sind ja direkt auf die Ejakulation des Mannes ausgerichtet. Dann haben wir zweitens das Kriterium Vielfalt, das heißt, dass eine Vielfalt an sexuellen Praktiken gezeigt wird, also dass die Darstellungsmöglichkeiten erweitert, die Kameras vielfältiger eingestellt werden, dass auch mal andere Körpertypen, andere Altersgruppen, andere Kulturen mitgezeigt werden. Und dass auch ethische Arbeitsbedingungen herrschen, also dass da konsensuell gearbeitet wird und nicht gegen die Bedingungen der einzelnen Personen. Und letztendlich wollen wir auch, dass Frauen mehr hinter der Kamera sind, damit sich diese Perspektive mal ändert...
Die Nominierten für den 1. feministischen Pornofilmpreis sind Personen, da geht’s nicht um tatsächliche Filme...
Méritt: Ja, das ist richtig. Es ist ja das erste Mal, und wir haben die Pionierinnen eingeladen, die für ihr Lebenswerk geehrt werden. Die haben natürlich auch sehr unterschiedliche Filme gemacht, verschiedene Genres in ihrem Werk, aber letztendlich werden alle für ihre spezifische Art der sex-positiven Art geehrt. Und das ist besonders bei den ersten drei – Candida Royalle, Annie Sprinkle und Maria Beatty - das ist ein Lebenswerk, was die ja schon hinter sich haben: Damit machen wir mal darauf aufmerksam, dass Frauen da ja schon ganz schön viel geleistet haben. Es ist auch ein Stück Geschichtsschreibung.
Was heißt den „sex-positiv“?
Méritt: Sex-positiv heißt, dass Sexualität positiv dargestellt wird. Positiv ist auf die Beziehung der Agierenden bezogen – also dass man merkt, aha, die haben tatsächlich eine Art von Beziehung miteinander. Das heißt jetzt nicht, dass die befreundet sein müssen. Aber dass die in dieser Situation eben über die Genitalien hinaus auch gezeigt werden. Dass da nicht nur ein Genitalverkehr stattfindet, sondern ein Augenkontakt, ein Hautkontakt, dass es mehr gibt als genital. Dass das positiv rüberkommt, dass Leute das als Kraftquelle benutzen können.
Mit PorYes spielen Sie ja deutlich auf die PorNo-Kampagne der „Emma“ an. Warum wenden Sie sich gegen andere Feministinnen mit dieser Geschichte, wo Ihr „Feind“ doch eigentlich ein anderer ist?
Méritt: Wir sind gar nicht in Opposition. Es ist PorNo = PorYes. PorYes ist aus der PorNo-Bewegung entstanden, oder gleichzeitig gewachsen. Der sex-positive Flügel der Frauenbewegung ist zur gleichen Zeit entstanden, und natürlich sind wir bei der PorNo-Bewegung dabei – gegen Sexismus, gegen Rassismus und gegen zwanghafte Sexualität. Aber wir wollen auch gleichzeitig ein positives Angebot machen.
Das ist ja auch nichts Neues, deshalb haben wir ja auch die Pionierinnen dabei, die 20, 30 Jahre schon Arbeit geleistet haben. Es ist aber jetzt die Zeit, dass es an die Öffentlichkeit kann. In der ersten Zeit war es einfach wichtiger, das Bestehende zu kritisieren.
Können Sie mir ein paar Beispiele für „sex-positive“, feministische Pornos nennen?
Méritt: Die Frauen, die wir eingeladen haben, haben wunderbare Filme gemacht. Annie Sprinkle macht sehr liebevolle Aufklärungsfilme, die natürlich trotzdem sehr erotisch sind. Candida Royalle macht wunderbare Filme, die immer auch Emotionen zeigen, wo auch humorvoll miteinander umgegangen wird, immer respektvoll. Der neueste von Candida Royalle heißt zum Beispiel "Afrodite“, dann haben wir von Petra Joy „Female Fantasies“, Maria Beattys „Sex Mannequin“ – da kann man bei jeder welche rausgreifen.
Sie betreiben selber einen Sexshop. Man könnte leicht darauf kommen, dass das eine geschickte Marketing-Strategie ist, einen solchen Preis ins Leben zu rufen und damit so viel Aufmerksamkeit zu bekommen...
Méritt: Ja. Der Punkt ist aber der, dass wir ja merken, dass tatsächlich eine Nachfrage existiert. Ich mach’ das ja schon 20 Jahre, und es gibt auch ein Netzwerk von Frauen-Sexboutiquen, die das auch bestätigen. Wir wollen wirklich was verändern, weil wir einfach keine Lust mehr haben, diese schlechten Pornos vorgesetzt zu kriegen. Das ist ein ganz allgemeines Bedürfnis und nicht auf ein individuelles Markt-Kreieren zurückzuführen.
Warum verschreiben Sie sich so sehr dem Thema Sexualität?
Méritt: Ich finde, dass es immer noch eine sehr unterdrückte Sexualität gibt. Und auch die Kommunikation über Sexualität ist immer noch etwas behindert. Das ist einfach ein politisches Ziel von mir: Ich bin Feministin, ich will natürlich Zustände verändern, die Unterdrückung beinhalten.
In Ihren Kritierien steht, dass, wer das Label „PorYes“ für einen Film bekommen möchte, den Schwerpunkt auf weibliche Lust legen muss. Ist das nicht auch wieder diskriminierend?
Méritt: Das ist natürlich jetzt eine Übergangsphase. Wir wollen eigentlich, dass jedes Geschlecht in seiner Vielfalt dargestellt wird. Es ist jetzt aber erstmal so, dass wir die Lust der Frauen betonen – weil die Frauen in den herkömmlichen Filmen eher Arbeiterinnen für die Lust des Mannes sind . Aber Ziel ist natürlich, dass auch die Männer von diesem Druck entlastet werden. Die sind ja auch nicht gerade positiv dargestellt in den herkömmlichen Filmen.
Sind Sie tatsächlich davon überzeugt, dass Sie mit Ihrem Filmpreis etwas ändern können – wo die Porno-Industrie mit herkömmlichen Filmen Milliarden verdient?
Méritt: Zum einen ist es so, dass der DVD-Markt einbricht. Die andere Seite ist die: Wir haben ja bei den „Spielzeugen“ tatsächlich schon eine Revolution hinter uns – mittlerweile hat jede Großproduktion einen Frauenlinie und achtet mehr auf Qualität und gesunde Produktion und diese Sachen, die wir eingefordert haben. Vor zehn Jahren sah das noch ganz anders aus, da wurde uns nicht geglaubt. Und wir haben gesagt: Da ist sehr wohl eine Nachfrage. Jetzt sieht’s eben so aus. Und das wird bei den Filmen auch passieren, da geht überhaupt kein Weg dran vorbei – die Leute wollen einfach auch was anderes als das.