Berlin/München. “Derrick“ - die vielleicht deutscheste aller TV-Serien: Vor 40 Jahren, am 20. Oktober 1974, lief die erste Folge im ZDF. In mehr als 100 Länder wurde die Krimi-Serie verkauft. Waren die 281 Folgen Gentleman-Krimis oder der “Triumph des Mittelmaßes“?

Wohl kein deutsches Fernsehprodukt ist so erfolgreich gewesen wie diese Krimiserie, die in mehr als 100 Länder verkauft wurde: "Derrick". Deutschlands meistexportierter Fernsehpolizist, Oberinspektor Stephan Derrick (Horst Tappert), löste zusammen mit seinem Partner Harry Klein (Fritz Wepper) seine Fälle, ohne jemals befördert zu werden. Vor 40 Jahren, am 20. Oktober 1974, lief die erste Folge. Titel: "Waldweg". In 24 Jahren strahlte das ZDF 281 Folgen aus. Zunächst lief die Serie etwa einmal im Monat am Sonntag, ab 1978 dann als Freitagskrimi um 20.15 Uhr.

Den vielzitierten Satz "Harry, hol schon 'mal den Wagen" hat Derrick - der Mann mit den Tränensäcken und dem Toupet - vor der Kamera eigentlich nie gesagt. Läster-Entertainer Harald Schmidt befeuerte in den 90er Jahren die Legende und machte sich lustig über die Behäbigkeit der 60-Minuten-Filme, die oft arg langsam erzählt waren.

"Leichen-Limit" auf zwei pro Folge

Wie das "Fernsehlexikon" richtig beobachtete, passierten die Morde dieser Serie, die Helmut Ringelmann (1926-2011) produzierte, meistens in Münchens High-Society: "Derrick verhört die reichen Angehörigen in deren Villen und löst die Fälle mit Bedacht und ohne Gewalt." In Nebenrollen waren immer wieder große Stars und Charakterdarsteller zu sehen, von Maria Schell oder Inge Meysel bis Ruth Leuwerik, von Götz George oder Curd Jürgens bis Christoph Waltz.

Einige frühe Folgen lösten Diskussionen aus. Eine spielte im harten Drogenmilieu, in einer anderen wurde ein Kind ermordet, was zu Zuschauerprotesten führte. In einer anderen Episode starben fünf Leute auf einmal. Daraufhin wurde das "Leichen-Limit" auf zwei pro Ausgabe reduziert. Heutzutage, angesichts immer neuer Leichenrekorde etwa beim "Tatort" - vergangene Woche bei Ulrich Tukur waren es mehr als 50 Tote in 90 Minuten - scheinen solche Debatten wie aus einer anderen Zeit. Alte Bundesrepublik eben.

Kurz vor seinem Ausstieg meinte sogar Hauptdarsteller Tappert, der 2008 mit 85 Jahren starb und dessen Waffen-SS-Mitgliedschaft erst fünf Jahre nach seinem Tod bekanntwurde, es habe bei "Derrick" "viele Tiefpunkte" gegeben. "Das Hauptproblem waren die Bücher von Herbert Reinecker", sagte er damals im "Abendzeitung"-Interview. Sie seien zu philosophisch und moralisch gewesen, fast ohne Zwischenmenschliches. "Zigmal habe ich das Script in die Ecke gefeuert." Doch Drehbuchautor Reinecker (1914-2007) sei zu keiner Zusammenarbeit bereit gewesen.

Fritz Wepper spielt heute in "Um Himmels Willen"

Über das Verhältnis zu Kollege Wepper sagte Tappert in dem Interview: "Fritz und ich haben am Set wie zwei Menschen miteinander gesprochen, nicht wie Schauspieler. Das war wunderbar." Dennoch seien sie privat nie eng gewesen, weil sie zu unterschiedlich gewesen seien.

Fritz Wepper, heute 73 Jahre alt und seit 2002 als Politiker Wolfgang Wöller im fiktiven Kaltenthal erfolgreich in der ARD-Nonnenserie "Um Himmels Willen" zu sehen, sagte in einem Interview, das das Zeitzeugen-Portal "Eines Tages" von "Spiegel Online" am Donnerstag veröffentlichte: "Dass die Zuschauer es mir gestattet haben, Harry Klein gewesen zu sein und nun als Bürgermeister Wöller wahrgenommen zu werden: Das war für mich die höchste Auszeichnung als glaubwürdiger Schauspieler."

Auch wenn Derrick die erste Geige gespielt habe, er habe "dem Horst das Wasser reichen" können. Seine Lieblingsfolgen bei "Derrick" seien dennoch die gewesen, in denen er alleine habe ermitteln dürfen. "Einmal im Jahr gab es eine Harry-Episode, ohne Horst Tappert."

Serie war in Italien besonders populär

Der Schriftsteller Umberto Eco ("Der Name der Rose") outete sich einst als Gegner der Serie, die in Italien besonders populär war: "Derricks Beliebtheit macht seine Durchschnittlichkeit aus. Denn er lässt in jedem von uns die Mittelmäßigkeit wieder aufblühen, die wir glaubten, verdrängt zu haben. Derrick wird geliebt, weil er der Triumph des Mittelmaßes ist."

In der letzten Folge, die das ZDF am 16. Oktober 1998 zeigte und die damals etwa 10,3 Millionen Menschen sahen, wurde Derrick selbst zum Hauptthema. Ein Häftling, den Derrick einst des Mordes überführte, plant aus dem Gefängnis heraus einen Racheakt. Vor seiner Beförderung zur internationalen Polizeibehörde Europol soll Derrick ermordet werden. Statt zu flüchten, trifft er sich mit Familienmitgliedern des Drahtziehers - und entgeht mit psychologischem Geschick dem Anschlag.

Derricks letzte Worte: "Ich möchte jetzt gerne alleine sein. Harry, ich danke Dir für alles." Harry entgegnet mit stockender Stimme: "Mach's gut, Stephan." Dann verschwindet der alte Mann mit hochgeschlagenem Kragen im Dunkel der Nacht. (dpa)