Essen. Gehört Homosexualität auf den Lehrplan? Das fragten sich am Dienstagabend die Diskussionsteilnehmer bei Sandra Maischberger. Wirklich? Eigentlich bestand nämlich Einigkeit: Unterschiedliche Lebensformen sollen Kindern vermittelt werden, Sexpraktiken aber bitte nicht.

Die Redaktion von Sandra Maischberger hatte ganz tief in die polemische Trickkiste gegriffen: „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die ‚moralische Umerziehung‘?“ lautete der Titel der Sendung, in der es um die Proteste gegen die Lehrplanänderungen in Baden-Würtemberg ging. Auf platte Thesen warteten die Zuschauer jedoch fast vergebens. Nur mit viel Mühe und Not gelang es der Moderatorin, ihren Gästen ein paar streitbare Aussagen zu entlocken.

Bis es so weit kommen konnte mussten sich die Gäste jedoch zunächst gegenseitig den Stein des Anstoßes erklären, nämlich das Arbeitspapier der Baden-Würtembergischen Landesregierung zur Schulplanänderung, gegen die sich die Menschen mittlerweile in einer Online-Petition wehren. Damit wedelten besonders Sandra Maischberger und die Journalistin Birgit Kelle gerne herum. Vielleicht sollte man den Lehrplan noch um die dezente Verwendung von Spickzetteln erweitern.

„Das heißt Sie tolerieren Olivia Jones, aber akzeptieren Sie nicht?“

Birgit Kelle wagte den ersten Vorstoß. „Es wird nicht Toleranz gefordert, sondern Akzeptanz“, kritisierte sie. Nach einem kurzen Moment der Verständnislosigkeit bei ihren Sitznachbarn reichte sie die Erklärung freundlicherweise nach: Die Kinder würden gezwungen, die unterschiedlichen Lebensformen als positiv zu bewerten, anstatt sich ihre eigene Meinung bilden zu dürfen. „Das heißt Sie tolerieren Olivia Jones, aber akzeptieren Sie nicht?“, wollte Maischberger mit Blick auf ihren schillerndsten Gast wissen. Kelle redete sich heraus. Ab diesem gefährlichen Moment bekannte sich auch die Journalistin zu ihrer Akzeptanz für Homosexuelle.

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Streitlustig waren die Diskussionsteilnehmer auf jeden Fall, nur fehlte ihnen der Zündstoff. Da konnte auch Sandra Maischberger nicht viel ausrichten. Gelegentlich stand ihr Olivia Jones zur Seite, die in jedem Kommentar Homophobie witterte. Doch sogar Hartmut Steeb, Generalsekretär der „Deutschen Evangelischen Allianz“, der sich in einer früheren Sendung froh gezeigt hatte, dass keines seiner zehn Kinder homosexuell sei, hielt sich mit eindeutigen Äußerungen sehr zurück.

Lebensformen ja, Sexpraktiken nein

Für Verständigung zwischen beiden Lagern sorgte Jens Spahn. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht zu seiner Homosexualität, versteht aber auch, wenn sich seine Mitmenschen mit dieser Orientierung schwer tun. „Sie haben es ja nicht anders gelernt“, verteidigte er die oft holprigen Aussagen von Passanten in einem Einspielfilm.

Mit Hartmut Steeb und Birgit Kelle war sich Spahn einig, dass im Unterricht zwar unterschiedliche Lebensformen vermittelt werden sollten, jedoch keine detaillierten Sexpraktiken. Genau das hatte Kelle, Mutter von vier Kindern, nämlich befürchtet. Zumindest behauptete sie das. Von der Angst, dass die eigenen Kinder durch die neuen Lehrpläne homosexuell werden könnten, verlor sie nach ihrem „Aktzeptanz-Toleranz-Fettnäpfchen“ kein Wort mehr. Sogar Steeb behauptete, dass keines seiner Kinder mit Enterbung rechnen müsse, wenn es sich doch noch outen wolle.

Jens Spahn fürchtet "Wertigkeitsdebatte" um Homosexualität

Eitel Sonnenschein also zu dieser späten Stunde im Studio von Sandra Maischberger. Angst schwang dennoch mit. Nicht die Angst vor sich ausbreitender Homosexualität, die der Titel der Sendung vielleicht hätte vermuten lassen können, sondern die Angst vor einer „Wertigkeitsdebatte“, wie es Jens Spahn ausdrückte. Die Angst eben, dass die vielen Rechte, die sich Homosexuelle in Deutschland erstritten haben, doch noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden könnten.

In diese Richtung schweifte die Diskussion dann auch ab. Ob Lebenspartnerschaften heterosexuellen Ehen gleichgesetzt werden könnten? Nein, befand nach reiflicher Überlegung Hartmut Steeb. Seine Argumente: Fortpflanzung und Natur. Ob homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürften? Nein, fand Birgit Kelle. Schließlich bräuchten Kinder eine männliche und eine weibliche Bezugsperson. Was dann mit den vielen Alleinerziehenden sei, wurde nicht mehr geklärt. Überholte Vorurteile halten sich jedenfalls hartnäckig.

Letztlich zeigte sich im Laufe der Diskussion, an welcher Hürde die Debatte nicht weiterkommt: Der Diskrepanz zwischen dem lauten Ruf nach mehr Toleranz (beziehungsweise Akzeptanz) und dem Recht auf eine persönliche Meinung. Darf man jemanden dazu zwingen, Homosexualität gut zu finden? Das vielleicht nicht, wie auch Jens Spahn immer wieder betonte. „Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren so eine Sendung nicht mehr nötig haben“, brachte es die stillste Teilnehmerin, die Autorin Hera Lind, auf den Punkt. Irgendwann werde Homosexualität so normal sein, dass sie noch nicht einmal eine Online-Petition wert sei.