Essen. . Wimbledon-Legende Boris Becker ist dabei, sich selbst zu demontieren. Sein Auftritt am Freitag in Oliver Pochers RTL-Show „Alle auf den Kleinen“ dürfte dazu beitragen. Es gehört Kraft dazu, sich im richtigen Augenblick zurückzuziehen. Becker hat ihn verpasst.
Das Gesicht ist aufgedunsen, der Blick ist müde, der Mann ist 45, er sieht fertig aus und denkt vermutlich: Was tue ich hier? Es scheint, als wäre es Zeit, die Häme hinter sich zu lassen. Wer Boris Becker auf diesem Foto sieht und bei all den albernen Spielchen, zu denen er sich in Oliver Pochers Krawallshow heute Abend bei RTL erniedrigt, der fragt sich eher, ob er nicht Zeuge einer schleichenden Tragödie wird.
Ob er nicht einem Menschen zusieht, der sich in seiner vielleicht krankhaften Sucht nach Anerkennung längst zum öffentlichen Gespött gemacht hat und dem der gute Freund fehlt, der ihn beiseite zieht.
Natürlich kann man das auch nur lustig finden und sagen: Selber schuld, niemand zwingt ihn doch dazu, sich überall zum Affen zu machen, niemand zwingt ihn, die Welt per Twitter täglich mit Bildern seines Privatlebens zu überfluten, die uns sagen sollen, seht her, die Sonne lacht über mir, ich jette mit meiner Lily durch die Weltgeschichte und bin eine wichtige Person.
Aber kennen wir seine Zwänge?
Boris Becker war ein Held, nach dem die Republik sich sehnte
In der medialen Verklärung war Becker einst ein deutscher Held, weil er mit 17 das wichtigste Tennisturnier der Welt gewann, ein Sport-Ass, nach dem die Republik sich gesehnt zu haben schien, die Verkörperung eines Traums. Nicht der Hellste vielleicht, aber vielleicht auch deshalb so beliebt. Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Michael Stich, dessen hanseatische Coolness stets als Schnöseligkeit ausgelegt wurde.
Zum Helden allerdings wird man nicht einfach durch eine großartige sportliche Leistung. Ein Held wird man durch das Überwinden von Widerständen, dadurch, dass man sich am Ende für einen höheren Zweck opfert und wenn möglich dabei einen respektablen Stil pflegt. Den Sprung dahin hat Boris Becker nie geschafft: Zum Helden hätte er nach seinen Erfolgsjahren auf dem Center Court werden können, wenn er den Verlockungen des Blitzlichts widerstanden hätte.
Nur so konnte es dazu kommen, dass wir schon lange nicht mehr den Wimbledon-Champion in ihm sehen, sondern den dick gewordenen Boris, der ein Kind in der Besenkammer zeugt, der als ziemlich schlechter Pokerspieler im Fernsehen herumlungert, der als Partykönig die Klatschspalten füllt und mit Lothar Matthäus um die peinlichste Enthüllung der Woche ringt. Zwei Kamikazeflieger, die ihren Mythos längst zertrümmert haben.
Steffi Graf oder Michael Stich ließen ihre Tenniskarrieren elegant ausklingen, lassen sich auch heute nur sporadisch dort blicken, wo Kameras zu erwarten sind. Es gehört Kraft dazu, Klasse, sich im richtigen Augenblick zurückzuziehen. Vielleicht auch nur ein guter Berater.
Manche aber wollen berühmt bleiben, indem sie die tägliche Bestätigung ihres Status’ erzwingen. Um jeden Preis. Boris Becker wollte oder konnte sich von der vermeintlichen Liebe einer unterhaltungssüchtigen Öffentlichkeit nicht verabschieden. Einer Öffentlichkeit, die ihre Idole manchmal ganz schnell abserviert.
Ein weiterer Tiefpunkt für Becker
Auch Schauspielern fällt das würdige Altern oft schwer. Sportler allerdings müssen ihre neue Rolle erst einmal suchen. Vielen, aber nicht allen gelingt das. Das Drehbuch, das Boris Becker für sich schrieb, reihte zwischen kuriosen Frauengeschichten, Baupleiten und Steuerhinterziehung Peinlichkeiten aneinander.
Am Freitagabend steuert er beim Fernsehclown Oliver Pocher auf einen Tiefpunkt zu. Ein Boulevardblatt behauptet, er und seine Frau kassierten 250.000 Euro für den Auftritt, vielleicht braucht er das Geld sogar.
Die Welt lacht über Boris Becker, und er hört nicht hin. Das kann man verurteilen. Man kann es auch einfach nur traurig finden.
Tennislegende macht sich zum Clown