Essen. So einig war sich selten eine Runde in einer TV-Talkshow. Bei Maybrit Illner sprachen sich alle Gäste für eine deutliche Kritik und einen Besucher-Boykott der EM in der Ukraine aus. „Für mich ist das keine politische, sondern eine humanitäre Frage“, stellte BVB-Boss Watzke klar. Aber die Mannschaften sollten antreten, da totale Boykotte nichts bringen.

Da ist sich Deutschland aber mal (fast) einig. Drei von vier Bundesbürgern wünschen sich, dass die Bundesregierung die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine boykottiert und keine EM-Spiele in dem osteuropäischen Land besucht. Praktisch genauso viele Bürger sprechen sich aber gleichzeitig dagegen aus, dass die deutsche Nationalmannschaft nicht in der Ukraine antritt. Keine Rote Karte also für das Land, in dem die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko inhaftiert ist und um ihr Leben kämpft.

Keine Rote Karte, dafür sprach sich auch in einer seltenen (wie wenig aufregenden) Einigkeit die Herrenrunde am späten Donnerstagabend bei Maybrit Illner aus. Fünf Stühle und eine Meinung bei CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, den Sportfunktionären Hans-Joachim Watzke und Klaus Steinbach, Ex-Manager Wolfgang Posth und Moderator und Fußballfan Oliver Pocher. Deutliche Kritik und Besucher-Boykott ja und gerne. Aber kein Boykott durch die Mannschaften. Oder gar eine ins Spiel gebrachte Verlegung der EM aus der Ukraine in ein anderes Land. „Da sind wir uns einig. Das bringt auch nichts“, sagte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, der sich mit Blick auf das Schicksal von Julia Timoschenko schon vor Wochen entschieden hatte, keine Spiele der EM in der Ukraine zu besuchen. „Für mich ist das keine politische, sondern eine humanitäre Frage“, stellte Watzke, der die drei Vorrundenspiele der deutschen Nationalmannschaft verpassen würde, im ZDF klar. Dafür gab es viel Applaus von den Zuschauern im Studio.

Jewgenija Timoschenko berichtet von schlechtem Gesundheitszustand ihrer Mutter

„Totale Boykotte bringen nichts. Als die EM vor einigen Jahren vergeben wurde, war ja auch noch nicht abzusehen, wie sich die politischen Bedingungen in der Ukraine entwickeln“, sagte Ex-VW-Manager Wolfgang Posth. „Und die Europameisterschaft ist bei allen politischen Schwierigkeiten auch eine Gelegenheit, den Fokus auf das Land der in der Kritik stehenden Regierung Janukowitsch zu richten und Öffentlichkeit zu schaffen.“ Dem stimmte Sportfunktionär und Ex-Weltrekordschwimmer Klaus Steinbach zu, der noch einmal an die Olympia-Boykottwellen im Kalten Krieg 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles erinnerte.

In die Sendung geschaltet wurde Jewgenija Timoschenko, Tochter von der inhaftierten Julia Timoschenko. Sie berichtete vom schlechten Gesundheitszustand ihrer Mutter und richtete einen eindringlichen Appell an die Diskussionsrunde und die Zuschauer, ihre Mutter zu unterstützen.

Appell an die Mündigkeit und Verantwortung der Profi-Fußballer

CDU-Politiker Wolfgang Bosbach nahm vor allem seine Kollegen in die Pflicht: „Für Menschenrechte zu kämpfen ist vor allem eine Aufgabe von uns Politikern und nicht von Philipp Lahm oder Lukas Podolski.“ Applaus. Aber Bosbach appellierte auch an die Mündigkeit und die Verantwortung der Fußballer: „Viele Fans hören doch darauf, was ihre Idole sagen. Eher als auf das, was wir Politiker sagen.“ Das stimmt wohl.

Oliver Pocher, verdächtig staatstragend in seinen Worten, aber insgesamt ungewöhnlich unauffällig, fand zumindest den passenden Cliffhanger für die wenig aufregende Sendung: „Ich bin gespannt, wer sich nach dem Ende der Europameisterschaft noch für das Thema interessiert und wer es thematisiert.“ Beim Blick auf die Diskussion um die Menschenrechte rund um die Olympischen Spiele 2008 in Peking kann man da nur sagen: Wir auch.