Brüssel. In der Debatte um die Politik des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch greift die EU-Kommission zu drastischen Mitteln: Das gesamte Gremium werde der Europameisterschaft in dem osteuropäischen Staat fernbleiben, teilte die EU-Kommission mit. Deutsche Politiker schlagen eine Verlegung des Endspiels vor.
Aus Protest gegen die Politik von Präsident Viktor Janukowitsch wird die gesamte
EU-Kommission der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine fernbleiben. Das
geht aus einer am Donnerstag von der EU-Delegation in der ukrainischen
Hauptstadt Kiew veröffentlichten Erklärung hervor. Die Führung in Kiew steht
wegen ihres Umgangs mit der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia
Timoschenko massiv in der Kritik.
Gastgeber Polen hat vor einem Boykott gewarnt. "Ich glaube, die Aufrufe für einen Boykott sind
unangemessen", sagte Ministerpräsident Donald Tusk am Donnerstag. Er habe zwar
Verständnis für jene Politiker, die die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko
unterstützten. Diese könnten ihre Sympathie für die inhaftierte Politikerin aber
auch während der Spiele deutlich bekunden. Polens Präsident Bronislaw Komorowski
warnte, ein Boykott der EM in der Ukraine könnte
den EU-Beitrittskandidaten in die Arme Russlands treiben. Neben der Ukraine wird die EM auch in Polen ausgetragen.
Tochter von Timoschenko wertet Debatte um EM-Boykott als Erfolg
Die Tochter Timoschenkos wertete die Debatte um das demonstrative
Fernbleiben von den Spielen in der Ukraine als
erfolgreich. In Deutschland nahmen Politiker auch künftige internationale
Großereignisse ins Visier und brachten Boykotte der Olympischen Winterspiele in
Russland und der Eishockey-Weltmeisterschaft in Weißrussland ins Spiel.
"Wir fühlen, dass sich die Ukraine
irgendwo zwischen der Wahl einer Integration in die westliche Welt und der
Chance zur Teilhabe an einer von Russland angebotenen Zollunion befindet", sagte
Polens Präsident Komorowski. Ein Boykott der Ukraine könne darin münden, dass das Land einen anderen
Weg als den der europäischen Integration wählen könnte. "Die EM ist nicht das
Eigentum dieses oder jenes Politikers", sagte er dem polnischen Fernsehsender
TVP1.
Polens Regierungschef kritisiert die Regierung der Ukraine
Allerdings kritisierte Regierungschef Tusk auch sehr deutlich die
Regierung des Nachbarlandes unter Präsident Viktor Janukowitsch. Der Umgang mit
Timoschenko sei ein Test für die Glaubwürdigkeit der ukrainischen Behörden. Die
Reputation des Landes werde dramatisch leiden, wenn die Oppositionspolitikerin
nicht angemessen behandelt werde. Ein Boykott der EM aber sei seiner Übrezeugung
nach auch nicht im Sinne Timoschenkos.
Timoschenko leidet an einem nicht behandelten Bandscheiben-Vorfall
und hat aus Protest gegen Misshandlungen in der Haft vor zwei Wochen einen
Hungerstreik begonnen. Deutsche Ärzte, die sie vor Wochen untersuchen konnten,
hatten ihren Zustand als besorgnisserregend bezeichnet.
Am Donnerstag berichtete die Tochter der Politikerin im ZDF, sie habe
am Samstag ihre Mutter gesehen: "Sie war sehr, sehr schwach." Die Gefahr für ihr
Leben sei sehr groß. Der Boykott durch die deutsche Regierung sei sehr
erfolgreich, sagte die Tochter. Bundespräsident Joachim Gauck hatte eine Reise
in die Ukraine wegen des Umgangs mit Timoschenko
abgesagt. Außerdem kritisierte die Bundesregierung den Umgang mit Timoschenko
und weiteren inhaftierten Oppositionspolitikern.
Deutsche Politiker regen Verlegung des EM-Endspiels an
In Deutschland regten mehrere Politiker an, das Endspiel der EM solle
von Kiew nach Warschau verlegt werden. Außerdem wurden künftige internationale
Großereignisse problematisiert. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete von einem
Antrag von SPD und Grünen, in dem es heißt, die weißrussische Regierung von
Präsident Alexander Lukaschenko sei kein würdiger Gastgeber für die
Eishockey-Weltmeisterschaft. Auch Union und FDP arbeiteten an einem ähnlichen
Antrag. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, verwies
auch auf die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi 2014. "Um die
Menschenrechte in Russland ist es schlecht bestellt", sagte der
Grünen-Politiker. Nur wer sich vor Großmächten nicht wegducke, betreibe eine
glaubwürdige Menschenrechtspolitik. (rtr/afp)