Essen. Eine fränkische Firma soll Zellgewebe und Knochen von toten Ukrainern importieren, deren Angehörige nicht ausreichend über die Spenden informiert worden seien.

Leichenfledderei in der Ukraine für eine Pharmafirma in Franken: Die beiden Filmemacher Martina Keller und Wolfgang Lucks decken in ihrer WDR-Reportage „Wenn Körperteile zu Marktartikeln werden“ (WDR, heute, 22 Uhr) das Geschäft mit menschlichen Leichen auf, die regelrecht ausgeschlachtet werden, um Patienten in Deutschland und in den USA das Leben zu erleichtern oder zu verschönen.

Tutogen, so heißt die Firma im fränkischen Neunkirchen, die in das makabre Geschäft verwickelt ist. Sie importiert menschliche Knochen und Gewebe, die, von ihr weiterverarbeitet, als Produkte in der Zahn-Implantologie, Orthopädie oder Schönheitschirurgie verwendet werden. Der Vorwurf der Filmemacher: Entgegen den gesetzlichen Vorschriften in der Ukraine werden die Angehörigen der Verstorbenen Ukraine nicht aufgeklärt, sondern vielmehr unter Druck gesetzt. Sie ahnen oft nicht einmal, dass sie mit ihrer Unterschrift der Entnahme von Organen zustimmen. Tutogen arbeite mit den so praktizierenden Entnahmestellen in der Ukraine zusammen.

„Die Menschen in der Ukraine sind arm, die Kontrollen nicht so streng. Das machen sich die Firmen zunutze. Um Leichenteile etwa für die Schönheitsindustrie zu gewinnen, sollte man die Totenruhe nicht stören“, sagt Martina Keller. Wie im Fall jener Frau, die noch unter Schock stand, weil sich ihr Sohn gerade das Leben genommen hatte. Da tauchten diese Menschen bei ihr auf, drängten sie zu einer Unterschrift. Sie solle einer Autopsie des Toten zustimmen. Die Ukrainerin unterschrieb, ahnte wohl nicht, was sie tat. Wenig später wurden ihrem toten Sohn Knochen, Sehnen und Muskelteile entnommen. Getestet, gereinigt und sterilisiert wird menschliches Material wie dieses auch in Deutschland zu medizinischen Produkten weiterverarbeitet. Zu Füllmaterial für Zahnimplantate, zu Gewebe, das bei Schönheitsoperationen wie Nasenkorrekturen benötigt wird.

Klagen von 60 Opfern

Schon 2009 war die Filmemacherin Martina Keller auf den Gerichtsprozess in der Ukraine aufmerksam geworden, in dem über 60 Opfer dieser Form von Leichenfledderei gegen den verantwortlichen Rechtsmediziner klagten. Zu dem Prozess kam es am Ende jedoch nicht, weil der Beschuldigte vorher verstarb. Nun reisten Keller und ihr Kollege Wolfgang Lucks in die Ukraine, um die Angehörigen der Opfer zu treffen und die dubiosen Geschäfte um menschliche Ersatzteile zu beleuchten.

Abnehmer der Gewebetransplantate und Knochen ist auch die Pharmafirma Tutogen im fränkischen Neunkirchen. Die Tochter eines US-Konzerns verarbeitet das aus der Ukraine gelieferte Material weiter, zu Produkten wie Knochenbröseln, die beim Aufbau von Kieferknochen bei Zahnimplantationen genutzt werden oder Stützmaterial für Wirbelsäulen-Operationen.

Tutogen, das gestern gegenüber dieser Zeitung noch keine Stellungnahme abgeben wollte, beruft sich auf seiner Internetseite darauf, dass „der ganze Prozess der Gewebespende, der Aufbereitung und der Bereitstellung des Endprodukts einem der strengsten Gesetze weltweit, dem deutschen Arzneimittelgesetz“ unterliege. Tatsächlich gilt für so weiterentwickelte Produkte das Arzneimittelgesetz, für die Entnahme der Körperteile jedoch gibt es auch in der Ukraine Gesetze, die dem deutschen Transplantationsgesetz ähneln, das eine Zustimmung des Transplantierten oder seiner Angehörigen vorsieht.

250.000 Dollar Gewinn mit einer Leiche

Genau das soll jedoch in der Ukraine in unzähligen Fällen nicht geschehen sein. „Die Angehörigen, mit denen wir gesprochen haben, fühlen sich getäuscht und unter Druck gesetzt, ihre Einwilligung zu geben“, sagt Filmemacherin Keller. Auch wenn Tutogen sich auf das deutsche Arzneimittelgesetz beziehe, entbinde es sie nicht von der Mitverantwortung. Heißt: Es gehe nicht nur darum, ob das Unternehmen bei der Weiterverarbeitung von Geweben und Knochen in Deutschland die Gesetze einhalte, sondern auch darum, wie die pathologischen Institute in der Ukraine vorgehen, unter welchen Umständen sie an die Transplantate gelangen.</p><p>„Die Menschen in der Ukraine sind arm, die Gesetze nicht so streng. Das machen sich die Firmen zunutze. Um Leichenmaterialien etwa für Schönheits-Operationen zu gewinnen, sollte man nicht die Totenruhe stören“, sagt Martina Keller.

2007 habe die ukrainische Polizei in über 400 Fällen ermittelt, bis heute gebe es 21 Entnahmestellen in dem Land. Tutogen habe für den deutschen Markt nur wenige Zulassungen für solche pharmazeutischen Produkte, weit mehr für den US-amerikanischen. Die Staatsanwaltschaft Bamberg hatte 2009 Vorermittlungen gegen Tutogen wegen Organhandels durchgeführt, dann allerdings nicht genügend Anhaltspunkte etwa für eine Durchsuchung der Firma gesehen.

Nach Schätzungen der US-Vereinigung Orthopädischer Chirurgen bringt eine Leiche 250.000 Dollar, würde man sie in ihre Einzelteile zerlegen, verarbeiten und verkaufen.