Mainz. .

„Restrisiko“ zeigt Hamburg nach einem Atom-GAU – „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts stellt sich als Reaktor-Schützerin ihrer Verantwortung. Und ausgerechnet Sat.1 zeigt den besten „öffentlich-rechtlichen“ Film seit langem.

Den besten öffentlich-rechtlichen Film seit langem zeigt ausgerechnet Sat.1. Genau das ist sein Problem. Der Titel über einen atomaren GAU in Deutschland ist zweischneidig: „Restrisiko“ (Dienstag, 20.15 Uhr). Dahinter steht die Frage: Wird das Sat.1-Publikum statt Wohlfühl-Fernsehen einen ambitionierten Film akzeptieren?

Bisher jedenfalls galt Sat.1 als unverdächtig, Zuschauer über Gebühr zu fordern. Jetzt will der Sender beweisen, dass er auch Themen mit gesellschaftlichem Anspruch kann. Mehr noch: Der Bällchen-Sender zeigt sogar Haltung. Zwar will Sat.1-Filmchef Joachim Kosack von grundsätzlicher Kritik am deutschen Atom-Kurs nichts wissen, doch der Film bezieht „klar Stellung, in dem er mögliche Probleme der AKW der ersten Baureihe zeigt. Wir entwerfen ein Szenario, von dem wir alle hoffen, dass es nie Realität wird“.

Damit steht er in der Tradition von Wolfgang Menge, der 1973 ein neues TV-Genre erfand: den Umwelt-Film. Seine Schreckensvision „Smog“ war nichts anderes als ein Kampf für saubere Luft.

Verstrahlte Zukunft verhindern

Das Drehbuch-Duo Sarah Schnier und Carl-Christian Demke sowie Regisseur Urs Egger weisen auf das „Restrisiko“ der Atomkraftwerke hin, um eine verstrahlte Zukunft zu verhindern. Um ihrer Argumentation Glaubwürdigkeit zu verleihen, stellen sie die Sicherheitschefin des fiktiven Atomkraftwerks Oldenbüttel bei Hamburg in den Mittelpunkt: „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts spielt Katja Wernecke. Nur mit Mühe darf ihr alter Meiler länger als geplant am Netz bleiben. Dennoch glaubt die oberste Reaktor-Schützerin an Sinn und Sicherheit der Atom-Technologie, Protest lächelt sie anfangs strahlend weg.

Allerdings steht sie unter Druck. Gleich doppelt: Es gibt Streit mit ihrem Ex-Mann, Online-Journalist Gerald (Thomas Sarbacher), und es gibt Streit mit Werksleiter Wessel. Er hält seine Kollegin für illoyal. Kai Wiesinger spielt ihn als Mann unter Strom. So macht er dicht, als bei einem kleinen Störfall Rauch und später, bei der Kernschmelze, Strahlung austreten. Am Anfang der Kettenreaktion steht der Faktor Mensch.

Raffiniert montiert

Das Wutbürger-Epos rollt die Tragödie von hinten auf: Frau Wernecke stellt sich schließlich ihrer Verantwortung. Die Handlung ist raffiniert montiert. Sie springt zwischen mehreren Zeitebenen. Das erfordert konzentriertes Hinsehen. Doch so mutig die Skepsis des Films auch ist, so sorgfältig das Handwerk – in einem Punkt hält sich der Film ängstlich zurück. Nur durchs Flackern der allgegenwärtigen Geiger-Zähler wird sichtbar, dass es eine Katastrophe gab. Eine Reaktor-Ruine, von Gebäude-Trümmern ganz zu schweigen, wagt der Streifen nicht zu zeigen – ein Mangel, klar, aber kein Fernseh-GAU.