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Nach dem schlimmen Unfall bei „Wetten, dass..?“ haben es alle gewusst, die Medien-Politiker aller Fraktionen. Schuld an dem Desaster sei der gnadenlose Kampf um die besten Quoten. Doch wer übt den Druck bei den Öffentlich-Rechtlichen aus?

Die Spur führt in die 90er. Das werbefinanzierte Fernsehen hatte, wenige Jahre nach seiner Gründung 1985, den Markt aufgerollt – auf Kosten von ARD und ZDF. Sie verloren binnen weniger Jahre ihre Vormachtstellung. 1990 sahen noch rund 40 Prozent des Publikums öffentlich-rechtlich. Nur fünf Jahre später erreichten das Erste und das Zweite gerade noch 30 Prozent. RTL war längst Nr. 1, und zeitweilig sah es so aus, als sei selbst Sat.1 auf der Überholspur.

Imperium schlug zurück

Doch das öffentlich-rechtliche Imperium schlug zurück: Es versuchte, die Konkurrenz durch gebührenfinanziertes Privatfernsehen wegzudrücken. Programm-Erfolg misst sich seitdem weniger an Kritiker-Lob und Fernsehpreisen, sondern eher an einem schlichten Kriterium: der Quote. ARD und ZDF lieferten sich dem scheinbar wissenschaftlichen Zahlenwerk der Marktforschung aus. Qualität spielt beim Programm nur noch eine Nebenrolle – Angst essen Fernsehen auf.

Folge: Das gebührenfinanzierte Programm wirkt weithin wie ein Mix aus Tagträumen und Einschlafhilfe. Quoten-Kracher der privaten Konkurrenz werden seither gern kopiert – oft schlecht. Bei Neuentwicklungen herrscht Mutlosigkeit. TV-Klassiker wie „Wetten, dass..?“ stehen unter Sensationsdruck. Flops werden fix aussortiert. Sperriges und Schräges wandert in die Nacht der Hauptprogramme oder in die Nische von Arte, 3sat oder Phoenix. Der Quoten-Druck durch die Chef-Etagen von ARD und ZDF, stöhnen Regisseure, Schauspieler und Produktionsfirmen, selbst PR-Agenturen, habe sogar noch zugenommen.

Aber auch die Politik, die die Öffentlich-Rechtlichen in den Aufsichtsgremien kontrolliert, spielt eine zwiespältige Rolle. Sie pflegt ein taktisches Verhältnis zum Markterfolg. Bei niedrigen Quoten moniert die Politik, ARD und ZDF verlören ihr Publikum. Umgekehrt werfen parteinahe Gremien-Mitglieder den Sendern nicht selten vor, ihren gesellschaftsdienlichen Auftrag zu verraten. „Einen solchen Spagat kann niemand turnen“, befindet Uwe Kammann vom Grimme-Institut in Marl.

Obendrein missbraucht die Politik zuweilen die Marktforschung, um pure Macht-Politik zu tarnen, zuletzt beim weggemobbten ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender.

Programm für alle

Dabei könnten gerade ARD und ZDF ihr Programm entspannter gestalten. Grimme-Chef Kammann: „Von der bestmöglichen Quote hängt nicht das Leben von ARD und ZDF ab wie bei den Privaten, die vom Verkauf eines möglichst großen Publikums an die Werbewirtschaft leben.“ Die Rundfunkgebühren – 2009 mehr als 7,6 Milliarden Euro – befreien die Öffentlich-Rechtlichen vom Marktdruck.

Gleichwohl brauchen auch ARD und ZDF Reichweite, um die weithin ungeliebten Gebühren zu rechtfertigen. Zuschauer-Zuspruch sei für die Anstalten „ein wichtiger Hinweis, wie attraktiv ihre Sendungen sind“, sagt Kammann. „Und natürlich wäre es fatal, wenn sie nur noch Minderheiten erreichen würden.“

Dennoch, so Kammann, dürfen die Quoten nicht der alleinige Maßstab ihres Programms sein. Zum gesetzlichen Auftrag von Erstem und Zweitem gehöre das „angemessene Berücksichtigen von Mehrheiten und Minderheiten“. Kammann: „Es muss um Vielfalt und das Ansprechen möglichst vieler Zielgruppen gehen.“