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Drei Tage nach Johannes B. Kerner blickte auch Günther Jauch zurück. „Menschen, Bilder, Emotionen“ versprach seine Chronik des Jahres 2010 – heraus kam eine Sendung, die ein bisschen zuviel wollte.

Moderatoren von Jahresrückblicken sind nicht zu beneiden. Sie müssen binnen Minuten vom Komischen zum Ernsten wechseln, vom Trivialen zum Außergewöhnlichen, vom Boulevard zur Weltpolitik. Sie sprechen mit Medienprofis und Kamerascheuen, Bildungsbürgern und Schulabbrechern, Sportlern und Politikern, Normalos und Freaks. Wie schwierig diese Aufgabe ist, merkt man unter anderem daran, dass sie nicht mal Günther Jauch so ganz gelingt.

Die gute Nachricht zuerst: Seine Sendung verzichtete auf die Liga der Unvermeidlichen. Die Beckers, Pooths und Pochers hatten schon bei Kerner eingecheckt und waren somit raus. Ganz ohne Boulevard ging es zwar auch bei RTL nicht – das „Interview“ mit Daniela Katzenberger blieb aber die Ausnahme. Vielleicht war es auch nur Mittel zum Zweck – d.h., Kontrastprogramm zum nächsten Gast. Direkt im Anschluss traf Jauch nämlich Nikolaus Hildebrand, einen 15jährigen Studenten aus München, der in seinem Leben mehr Klassen übersprungen hat als andere Menschen Pfützen. Er habe sich in der Schule immer schrecklich gelangweilt, sagt Hildebrand. Man nimmt es ihm spätestens in dem Moment ab, als die Regie ein altes Familienfoto einblendet, das einen Fünfjährigen hinter einer komplexen Lego-Nachbildung von Notre Dame zeigt.

Sarrazin-Buch - Thema des Jahres

Für erhöhten Freakfaktor sorgte auch Christian Horsters, ein mittelalterlicher Fahrradmechaniker, dessen Frisur entfernt an den Clown aus Stephen Kings „Es“ erinnert. Bekannt wurde er (Horsters) durch ein Youtube-Video, das ihn als Hochzeits-DJ in verschiedenen Eskalationsstufen tanzend zeigt. Bei RTL darf er das Ganze live wiederholen – und nebenbei die These belegen, dass es von „lustig-verrückt“ zu „besorgniserregend-verrückt“ nur ein paar Schritte sind.

Im ernsteren Teil der Sendung ging es unter anderem um Thilo Sarrazin. Mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ hatte der SPD-Politiker sicherlich das Thema des Jahres gesetzt. Viel Neues war nach Monaten der öffentlichen Diskussion nicht zu erwarten. Möglich, dass Jauch aus diesem Grunde auf die Thesen des Buches kaum noch einging. Stattdessen entwickelte sich ein zähflüssiger Dialog über die Zukunft von Sarrazin: Bleibt er in der SPD? – Wenn die Basis es will. Wo würde er sein Kreuzchen setzen, wenn demnächst Wahl wäre? – Demnächst ist keine Wahl. Schreibt er nächstes Jahr ein neues Buch? – Sicher nicht. Soweit, so aufschlussreich.

Selbst Westerwelle wirkte unterhaltsam

Bei dieser Einsilbigkeit wirkte sogar der Auftritt von Guido Westerwelle unterhaltsam. Der Außenminister wich den Fragen nach seiner Zukunft im Gegensatz zu Sarrazin einigermaßen eloquent aus. („Wenn ich Ihnen sage, wo ich den Weihnachtsurlaub verbringe, dann kommen die Fotoreporter, und dann sehen Sie mich in der Zeitung in Badehose. Das wollen Sie bestimmt nicht.“)

Das Happy-End des Jahres kam, passenderweise, zum Schluss. Da begrüßte Jauch den chilenischen Bergarbeiter Mario Sepúlveda. Begleitet von seiner Frau, erzählte er von den 69 Tagen, die er und 32 weitere Kumpel in der eingestürzten Mine von San José verbracht hatten. Dass Jauch ihn ausgerechnet in einer mit Pappmaché nachgebauten (und abgedunkelten) Bergwerkskulisse empfing, wirkte etwas geschmacklos, schien Sepúlveda aber nicht weiter zu stören. Vielleicht, weil er bald erneut Grund hat zu feiern. Er wolle seine Frau ein zweites Mal heiraten. „Das haben wir jetzt alle gehört,“ sagte Jauch unter großem Applaus des Publikums. Von Momenten wie diesen hätte seine Sendung ein paar mehr gebrauchen können.