Berlin. .
Den Titel „Unter deiner Flagge“ hat er seiner Mutter gewidmet. Am Freitag entschied der Aachener Musiker Unheilig, auch bekannt als „Der Graf“, mit einer bewegenden Show den sechsten Bundesvision Song Contest für Nordrhein-Westfalen.
„Wow. Das fühlt sich so gut an! Danke!“ Viel mehr brachte „Der Graf“ nach seinem Sieg nicht mehr zustande. Mit seiner Band Unheilig und dem Titel „Unter deiner Flagge“ hat der Musiker am Freitag in der Berliner Max-Schmeling-Halle den Bundesvision Song Contest für Nordrhein-Westfalen entschieden. Nach dem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Band Silly aus Sachsen-Anhalt fehlten dem Aachener mit der Vollglatze und dem markanten Bartschnitt dann die Worte.
Die letzten Silben seiner gefühlvollen Darbietung waren jedoch ohnehin selbstredend gewesen: „Ich liebe dich“, hauchte der Graf mit der sonst so markigen Stimme ins Mikrofon. Das Lied „Unter deiner Flagge“ hat der Hüne seiner Mutter gewidmet- wer wollte, sah ein paar Tränen in seinen Augen glitzern. Der Graf, der seinen bürgerlichen Namen bisher erfolgreich geheim hält (ein paar Internetforen handeln Bernd Heinrich Graf ganz groß), zeigte beim Bundesvision Song Contest ungewöhnlich viel Privatsphäre vor ungewöhnlich großem Publikum. „Ich habe noch nie irgendeinen Preis für meine Arbeit bekommen- außer natürlich euren Applaus“, sagte der Künstler und wirkte nun, da der „Ernstfall“ doch eingetreten war, fast unbeholfen. Dabei wurden Graf und Crew auch im Vorfeld des mittlerweile sechsten Länderwettbewerbs als mögliche Favoriten gehandelt.
16 Bundesländer kämpften um den Titel
Unheilig startete am Freitag sozusagen von der Pole-Position: Die Band durfte den letzten Beitrag bringen, noch nach Ich& Ich aus dem Ausrichterland Berlin. Die Stunden zuvor hatten jedoch ebenfalls Einiges zu bieten. Das Starterfeld des „Kleinen Eurovision“, den Stefan Raab für die 16 Bundesländer 2005 ins Leben rief, war sehr gemischt: Alters- wie genretechnisch. Die Jungs von Blumentopf importierten ihr Hip Hop-Stück „Solàlà“ mit viel Performance-Aufwand von Bayern in die Hauptstadt. Aus dem Land der Bremer Stadtmusikanten gab es fetzigen Rock mit Kleinstadthelden und zwei Songs später war auch schon wieder Platz für die skurrile brandenburgische Melancholie-Nummer „Du, Es und Ich“. Dies schien der Abend der anonymen Künstler zu sein, denn „über die wahre Identität des brandenburgischen Musikers Das Gezeichnete Ich weiß kaum jemand etwas Genaues“, verkündete Raab. Er offensichtlich auch nicht, doch das war nicht das Einzige, was dem Moderator an diesem Abend abging.
Sein weibliches Pendant, die Berlinerin Johanna Klum, war durchweg schlagfertiger und musste einige Zahlen- und Faktendreher Raabs korrigieren. Der Einfallsreichtum des gelernten Metzgers schien die gesamte Show über recht begrenzt. So mussten Stan-Four aus Schleswig Holstein den ganzen Abend lang für einen Aussprachefehler ihres Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen bluten. Dabei war dieser doch eigentlich als Support angetreten! Und als die Max-Schmeling-Halle auf Animation Raabs hin den Fettes Brot-Song „Emanuela“ von 2005 anstimmen wollte, würgte er sie gleich wieder ab. Ein kleines Wortspiel des „ewigen Praktikanten“ Elton, der wie immer im Publikum und Backstage unterwegs war, erschien dagegen wie ein Lichtblick: „Guck mal Stefan, hier sind Das gezeichnete Ich und… ich und… Ich & Ich!“
Selig mit Tonproblemen
Nun ja, vielleicht trieb den 44-jährigen Kölner auch die Frage um, ob es trotz einiger technischer wie planerischer Mängel dennoch zum ersten Nordrhein-Westfälischen Sieg bei einem Bundesvision Song Contest reichen würde. Denn als Selig aus Hamburg den Einstieg in den Wettbewerb machen wollten, stimmte die Pegelung noch nicht. Man hörte Frontmann Jan Plewka einige Sekunden lang wie aus weiter Ferne, wofür sich Raab später mit den Worten entschuldigte:„Das lag nicht an Selig, das können Sie aber auch hier auf dem Sampler nachhören!“ Und schob gleich noch die Werbung für die Show-CD nach-wunderbar. Ein peinliches Detail in den Einspielern zur Präsentation des Landes Baden-Württemberg: „Die Hauptstadt ist übrigens Stuttgart (tatsächlich? Man hört ja dieser Tage kaum etwas von dort...) und besonders sehenswert ist der historische Bahnhof.“
Entlohnt wurde der ausdauernde Zuschauer durch einige hörenswerte Musikbeiträge, wobei die Bewertungen der einzelnen Länder nur teilweise nachvollziehbar ausfielen. Während die Saarländer Mikroboy mit einer runden Performance und tiefgründigem Text überhaupt keinen Anklang fanden, erhielt Berlin durchweg mittlere Benotungen und landete am Ende auf Platz drei. Dabei hatten sich Ich& Ich mit einem deutsch-ägyptischen Pop-Experiment mit Mohammed Mounir sehr weit vom Mainstream weg gewagt. Die Bühnen erfahrenen Blumentöpfe aus Bayern hätte man dagegen weiter vorn erwartet.
Silly auf Platz 2
Die Stars des Abends waren neben „Unheilig“ die Urgesteine der 70er Jahre-Band Silly mit der aktuellen Frontfrau Anna Loos. Nach einem leicht kratzigen Einstieg fand die Schauspielerin und Sängerin bei dem geerdeten Rockstück „Alles rot“ zu einer Performance, die den gehaltvollen Text bestens transportierte. Belohnt wurden Silly mit dem zweiten Platz und nur zwölf Zählern Rückstand auf den lächelnden, überglücklichen Grafen und seine Mannen.
Unheilig, die in den vergangenen Monaten einen wahren Höhenflug durchlebt haben, sind schon seit zehn Jahren aktiv. Allerdings eher im Verborgenen, sprich der „schwarzen“ Neuen Deutschen Härte-Szene. Doch da jetzt auf 17 Wochen an der Spitze der deutschen Album-Charts und mehr als 600.000 verkaufte Exemplare von „Große Freiheit“ noch der Sieg des Bundesvision Song Contest folgt, dürfte es mit der Musik fernab des Mainstreams vorbei sein. Ob das allen Fans gefällt? Vielleicht tritt der Graf ja nächstes Jahr wieder an, wenn der Wettbewerb dank ihm in Düsseldorf stattfindet. Am Freitag überzeugte der Graf mit der markigen Stimme jedenfalls in einer Hinsicht: Da hat einer Spaß an der Musik.