London. Großbritannien hat ein neues Aschenputtel-Märchen: Nach Paul Potts legt jetzt Susan Boyle (47) einen kometenhaften Aufstieg hin. Die schrullige, rundliche Schottin betört in der Casting-Show "Britains's got Talent" Großbritannien mit einer Stimme, die Tränen fließen lässt.

Großbritannien hat ein neues Aschenputtel-Märchen: Nach Paul Potts, dem singenden Handyverkäufer, legt jetzt Susan Boyle (47) einen kometenhaften Aufstieg hin. Dass die schrullige Außenseiterin aus Schottland das Rennen bei einer Casting-Show machen könnte, hätte niemand erwartet – genau das ist Geheimnis ihres Erfolges.

„Es sind verrückte Zeiten”, seufzt Boyle, leicht schockiert, leicht amüsiert – körbeweise trudelt Fanpost ein, US-Shows reißen sich um sie und Paparazzi belagern ihr bescheidenes Häuschen in Blackburn, einem Bergarbeiterstädtchen, dessen beste Jahre längst vorbei sind. „Der Rummel ist überwältigend”, sagt sie, „meistens lustig, aber manchmal auch beängstigend.”

Alles andere als eine Diva

Susan Boyle ist alles andere als eine Diva: höflich, nett und ehrlich, dazu mollig und ungeschminkt. Bis vor zwei Wochen lebte sie allein mit ihrer Katze „Peebles” (Kieselsteinchen), besitzt keinen Computer und ein Handy erst seit Neuestem. Unumwunden gibt sie zu, noch nie geküsst worden zu sein, aber „weiter auf den Richtigen zu warten”. Als Ehrenamtliche ihrer Kirchengemeinde besuchte sie mehrmals die Woche Senioren, war aber ansonsten arbeitslos – kurzum: Boyle galt bei weitem nicht als Siegerkandidatin in einer Talentshow. Doch dann trat sie bei „Britains Got Talent” auf, bezauberte mit dem Lied „I dreamed a dream” aus Les Misérables und wurde über Nacht berühmt.

Genau wie bei Paul Potts, ihrem Vorgänger, ist Susan Boyles Ruhm kühl inszeniert: Auch bei ihm lagen Welten zwischen seiner makellosen Stimme und dem nicht ganz so makellosen Äußerem. Auch bei ihm manipulierten die Fernsehmacher die Gefühle des Publikums: Es gehört zum Konzept der Sendung, dass auf der einen Seite schöne, arrogante und überhebliche Juroren, auf der anderen Seite eingeschüchterte Kandidaten stehen, denen meist jede Begabung fehlt.

75 Millionen Mal sahen Fans das U-Tube-Video

Boyle schien genau in diese Kategorie zu gehören, als sie im goldenen Spitzenkleid die Bühne betrat, unbeholfen-keck die Hüfte kreisen ließ und kundtat, wie „Elaine Page oder so jemand” singen zu wollen. Als sie jedoch zu ihrer himmlischen Version des „I dreamed a dream” anhebt, tut die Jury überrascht, unterdrückt für die Kamera gerade noch sichtbar die Krokodilstränen der Rührung ob dieser neuen Sternengeburt. Authentisch an der Show war nur Susan Boyles Stimme – und die geht gerade um die Welt. 75 Millionen Mal haben sich Fans das YouTube-Video ihres Auftritts angeschaut.

Die „Boylemania” hat jeden Stein in Susans Leben umgedreht. Millionen wissen nun, dass sie aufgrund von Sauerstoffmangel bei der Geburt lernbehindert ist, in der Schule deshalb gemobbt wurde, nur im Chor oder in ihre Haarbürste sang und ihre Mutter bis zu deren Tod pflegte.

Unvermeidlich ist wohl die Diskussion, die nun im Königreich tobt: Soll Susan sich verändern – wie etwa Paul Potts, der neue Zähne, Klamotten und eine andere Frisur verpasst bekommen hat? Nach all dem Spott, der Häme über ihre Optik findet die Mehrheit jetzt jedoch, dass es eine Schande wäre, die 47-Jährige umzubiegen. Man liebt sie ja gerade wegen des krassen Gegensatzes zwischen Optik und Talent.

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