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Mit der Reality-Show „Big Brother“ wurde das Unterhaltungsfernsehen vor fast genau zehn Jahren neu erfunden. Auf banalste Art. Profilneurotische Prolls wurden zu Helden aufgebaut, die endlose Langeweile des normalen Lebens mit der Kamera 24 Stunden überwacht. Ein Rückblick.

Der 28. Februar 2000 hat die deutsche Fernsehwelt verändert. Denn an diesem Abend vor fast genau zehn Jahren ging die erste Staffel von „Big Brother“ an den Start. Losgetreten wurde eine „Abwärtsspirale. Eine Orgie der Verdummung.“ So beschreibt es der Sieger der ersten Ausgabe dieses voyeuristischen TV-Zoos in den Niederlanden, Spring in `t Veld.

Zehn Staffeln später sind die Kritiker verstummt. Die Erfinder aus der Produktionsfirma Endemol haben die Welt in über 70 Ländern bigbrotherisiert und vor allem: kräftig abkassiert. Ein Großteil der Protagonisten ist geläutert, und die Fangemeinde versammelt sich längst nicht mehr geballt vor der Glotze.

24 Stunden Langeweile des normalen Lebens

„Frauentausch“, „Dschungelcamp“, „Bauer sucht Frau“, diverse „Superstar“-Ausgaben machen klar: „BB“ ist nicht nur die Mutter aller Reality-Shows, mit „BB“ wurde das Unterhaltungsfernsehen neu erfunden. Auf banalste Art. Profilneurotische Prolls wurden zu Helden aufgebaut, die endlose Langeweile des normalen Lebens mit der Kamera 24 Stunden überwacht.

Die Sendung traf den Nerv der Zeit. Für die zweite Staffel bewarben sich bei RTL II 60 000 Menschen um einen Platz im TV-Gefängnis.

Und sie nervte. Vornehmlich Medienwissenschaftler, TV-Kritiker und Politiker. Das Verbot wurde diskutiert, der Gang zum Verfassungsgericht, Medienaufsicht und Jugendschutz wurden bemüht. Der damalige Innenminister Otto Schily nannte die Sendung sogar „den schlimmsten Verstoß gegen die Menschenwürde seit 1945“.

Der traurige Fall Zlatko

Die doch sehr deutsche Diskussion hatte, auch sehr deutsch, keine Konsequenzen. Während die Bildungsschicht diskutierte, lachte der Rest der Nation über den Kfz-Mechaniker Zlatko, der Heterosexualität für eine Perversion hielt und wenig später annahm, William Shakespeare sei ein noch lebender Regisseur. Der Star aus dem Container versuchte sich zwar nach der Show noch als Moderator und Sänger. Hatte aber keine lange Halbwertszeit. Heute schraubt er wieder an Autos.

Als zum Teil geschmacklos wurde die Inszenierung von Jade Goody aufgenommen: Die ehemalige britische „BB“-Kandidatin hatte ihren eigenen Krebstod im letzten Jahr medial vermarktet.

Als einziger in zehn Jahren kann Jürgen Milski sein mediales Überleben feiern. Mit sinnfreien Schlagern, als Karnevalsunterhalter und Moderator eines Anruf-Gewinnspiels auf 9Live verdient er heute sein Geld. Apropos Geld: 250 000 Euro bekamen die Gewinner der Show der letzten Staffeln. Das erklärt vielleicht auch, warum 16 000 Menschen von RTL II bei der 10. Staffel, ab kommendem Montag, 21.15 Uhr, für 148 Tage in den von Kameras überwachten TV-Knast geschickt werden wollten.

Die Zuschauer sind nicht mehr ganz so heiß auf die Alltagsbanalitäten aus dem Container. In der letzten Staffel mutierten die Zahlen Richtung Einschlafquote. Mag sein, dass die Zeit von „BB“ abgelaufen ist. Denn eigentlich dürfte heute keiner mehr auf das Angebot von SKY eingehen und 20 Euro für ein Monatsticket „24-Stunden-Big-Brother-Live“ auf den Tisch legen. Schließlich bietet das world wide web inzwischen genügend kostenlose Möglichkeiten, in die Schlafzimmer irgendwelcher Zeitgenossen zu schauen. Genauso belanglos wahrscheinlich, genauso langweilig.