Berlin. Karl Lauterbach (SPD) rechnet mit einem Anstieg der Corona-Zahlen. Bei “Anne Will“ sagte er nun einen neuen, harten Lockdown voraus.
- Bei "Anne Will" drehte sich am Sonntag erneut alles um das Thema Corona
- "Spiegel"-Journalist Markus Feldenkirchen warf der Regierung dabei Versagen vor
- SPD-Politiker Karl Lauterbach machte zudem eine düstere Lockdown-Prognose
Politik ist ein zähes Geschäft, aber mitunter nehmen die Ereignisse so rasant an Fahrt auf, dass selbst Profis in den TV-Redaktionen von der Entwicklung überrascht werden. Nur so ist es zu erklären, dass der "Anne Will"-Talk am Sonntagabend im Ersten thematisch leicht aus der Zeit gefallen wirkte.
"Anne Will": Corona-Talk im Ersten
"Lockern auf Probe – wohin führt der Strategiewechsel in der Pandemiepolitik", lautete der Titel, der immerhin voraussetzte, dass die Politik bei der Pandemiebekämpfung so etwas wie eine Strategie hat. Genau das bezweifeln inzwischen Beobachter und Kommentatoren nach den Ereignissen der vorangegangenen Tage, in denen zum Impfversagen noch das Chaos um die Beschaffung und Verteilung der Corona-Tests kam.
"Anne Will" - Das waren die Gäste:
- Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
- Karl Lauterbach (SPD), Politiker und Mediziner
- Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern
- Markus Feldenkirchen, "Spiegel"-Journalist
"Sind Regierung, föderale Republik und ausufernde Bürokratie mit dem Pandemie-Management heillos überfordert?" wäre die passendere Frage einer Sendung gewesen, zu der sich im Studio in Berlin-Adlershof die übliche Mischung aus Protagonisten gegensätzlicher Lockdown-Interessensbereiche eingefunden hatten: mit "Spiegel"-Mann Markus Feldenkirchen ein Hauptstadtjournalist und Sekundant von Moderatorin Anne Will, dazu Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff als Vertreter der herrschenden Kaste, die bayerische Gastronomie-Lobbyistin Angela Inselkammer, die Ärztin und Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle sowie der in der Rolle des Kassandra-Rufers bewährte SPD-Experte Karl Lauterbach.
"Anne Will": "Spiegel"-Journalist wirft Regierung Versagen vor
Die Teilnehmer lösten das Problem der gefühlt leicht deplatzierten Themensetzung auf ihre Weise: In den 60 Minuten ging es irgendwie um alles ein bisschen, was wiederum schade war, da der rote Faden über Strecken ebenso fehlte wie ein überzeugender Lösungsansatz.
Dafür mangelte es nicht an Kritik. Vor allem Markus Feldenkirchen warf der großen Koalition um Bundeskanzlerin Angela Merkel Versagen vor. Der Autor im "Spiegel"-Hauptstadtbüro hatte zuvor einen Artikel mit der Überschrift "Eine neue Regierung, bitte!" veröffentlicht. Seine Forderung sei die Folge eines "nüchternen Blicks auf das, was die Politik seit vergangenem Sommer geleistet hat", so Feldenkirchen. Diese sei "auf jeder Ebene zu halbherzig gewesen".
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CDU-Politiker Haseloff verteidigte das Ergebnis der jüngsten Corona-Ministerpräsidentenkonferenz: "Der Beschluss war richtig und ist mit Augenmaß gefällt worden." Man brauche eine "Botschaft für die Menschen, die wissen wollen, was möglich ist". Ihnen würden durch die Lockerungsbeschlüsse "Perspektiven eröffnet". Dass die versprochenen Tests für die Bürger noch nicht verfügbar seien, liege daran, dass Schnelltests erst seit Herbst 2020 verfügbar und Selbsttests erst vor wenigen Tagen zugelassen worden seien. Als Leistungsnachweis der Politik hielt Haseloff ein Blatt mit einer Tabelle in die Kamera: "Hier sehen Sie, dass die Inzidenzen in anderen Ländern höher sind."
Gastromie in Sorge: Lockerungen der Corona-Maßnahmen erst im Sommer?
Also alles auf dem Weg? Nicht für Karl Lauterbach, der ein bedrohliches Szenario entwarf: "Wir werden in den nächsten Wochen stetig wachsende Fallzahlen sehen und deshalb gar keine Lockerungen bekommen." Schon Anfang April seien aufgrund der sich rascher ausbreitenden Mutationen des Virus Inzidenzwerte über 100 zu erwarten, "und dann fallen wir auf den Stand von Anfang März zurück". Folge: ein weiterer Lockdown.
Man sei mit den Impfungen "spät dran", so der SPD-Bundestagsabgeordnete und Epidemiologe, und der Aufbau einer Testsystematik dauere zu lange. Deshalb halte er den Beschluss zu Lockerungen für "unglücklich". Für ihn stehe fest: "Ich hätte keine Öffnungen zugelassen, solange die Teststrategie nicht steht." Lesen Sie auch: Lockdown - Diese Lockerungen gelten jetzt in den Bundeländern
Der Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, Angela Inselkammer, gehen die Öffnungs-Maßnahmen nicht weit genug. Die Chefin eines Brauerei-Gasthofs fordert auch die Freigabe von Innenflächen der Betriebe, schließlich gebe es "ausgeklügelte" Schutzkonzepte. Inselkammer: "Wir haben Hygiene mit der Muttermilch aufgesogen." Die Gaststätten seien in der Lage, "die Kontaktbedürfnisse der Menschen in geregelte Bahnen zu lenken".
Die Branche könne nicht bis zum Sommer warten, "dann sind wir alle hin". Auch die Ungleichbehandlung sei ein Problem, das die Politik zu verantworten habe: "Wieso lässt man die Menschen im Ausland Urlaub machen, aber nicht bei uns?"
Corona-Schnelltests: Wie hoch ist der Bestand in Deutschland wirklich?
Die Kritik an einer Politik, die den Alltag der Bürger kleinteilig regelt, bei der Lösung ihrer eigenen Aufgabe aber weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt – dieser Eindruck scheint in der Runde am ehesten konsensfähig. Wenn etwas funktioniere, dann regional und durch Eigeninitiative.
Ein Beispiel liefert die Notärztin Lisa Federle, die in Tübingen seit Monaten Schnelltests auf öffentlichen Plätzen, in Schulen und Betrieben durchführt. Sie habe die Tests schon im Oktober angeboten bekommen, aber die örtlichen Behörden habe das damals "überhaupt nicht interessiert". So sammelte sie Spenden: "Ich habe Test für über drei Millionen Euro bestellt, und ich verdiene nicht daran." Ein deutlicher Seitenhieb auf die Geschäfte der "Masken-Raffkes" in der Politik.
Lockerungen ab Montag: "Click & Meet" ab Montag - So funktioniert das Termin-Shopping
Dass den Regierenden aber nicht nur das Timing bei der Pandemiebekämpfung verloren gegangen zu sein scheint, sondern sogar der Überblick der zur Verfügung stehenden Ressourcen, war die alarmierende Erkenntnis einer am Ende zunehmend erschlafften Diskussion. "Niemand weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wie viele Tests wir haben", gestand Lauterbach ein, "ich halte es für dringend notwendig einen Bestand zur ermitteln."
Beinahe hilflos wirkte vor diesem Hintergrund die Aussage Haseloffs, dass es nun ein "Gesamtkonzept" brauche, um "ein Stück Normalität zurückzugewinnen". Konter von Feldenkirchen: "Mir fehlt der Pragmatismus in der Krise. Das funktioniert auf kommunaler Ebene, aber nicht in der Bundespolitik."
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"Anne Will"-Talk: Jens Spahn wäre als Gast wünschenswert gewesen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hätte man sich bei dieser Ausgabe von "Anne Will" im Studio gewünscht. Der hatte vor wenigen Wochen versprochen, zeitnah über 500 Millionen Tests verfügen zu können. Davon ist keine Rede mehr, stattdessen soll Spahn nun eine "Task Force" aufstellen, die sich um Tests kümmert.
Kein Problem, signalisiert Spahn in einem von Moderatorin Will eingespielten Video, "wir Deutschen sind doch Logistik-Weltmeister". Feldenkirchens zynischer Kommentar: "Es fällt mir schwer, darauf ernst zu antworten. Allein die Tatsache, dass wir erst jetzt über eine Task Force reden, ist ein Witz." Sein vernichtendes Urteil über die Regierungspolitik: "Das hat schon was mit unterlassener Hilfeleistung zu tun."
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