Berlin. Bei Lanz stellte Forscher Michael Meyer-Hermann fest: Es gibt einen optimalen Grad an Lockerungen. Vor einer Sache warnte er aber.
Michael Meyer-Hermann kann nicht klagen über die aktuellen Corona-Zahlen für Deutschland, Jubel ist aber auch noch nicht angebracht. Der Systembiologe vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum berechnet Risikoeinschätzungen zum Verlauf von Epidemien. Bei „Markus Lanz“ berichtete er von seiner aktuellen Studie in Zusammenarbeit mit dem ifo-Institut. Die Ergebnisse dürften besonders in Hinblick auf die neuen Lockerungen interessant sein.
Markus Lanz: Studie zu Corona-Maßnahmen mit erstaunlichem Ergebnis
„Ich habe mir erstmal die Frage gestellt, ob es überhaupt einen Konflikt zwischen dem Interesse an Gesundheit und wirtschaftlichen Interessen gibt“, erzählte der Wissenschaftler von der Entstehung der Studie. Das Papier vergleicht die Auswirkungen verschiedener Lockerungen der Corona-Maßnahmen auf die Wirtschaftsleistung und die Todesfälle in der Bevölkerung.
Zu Beginn der Corona-Krise hatte es einen Aufschrei von Betrieben und Unternehmen gegeben, die wegen des Shutdowns enorme finanzielle Einbußen fürchteten. Auf die Empörung folgte dann schnurstracks ein öffentliches Drängen auf Lockerungen. Bei Lanz warb beispielsweise Volkswagen-Chef Herbert Diess für eine schnelle Rückkehr zum Produktionsalltag beim Automobilhersteller.
Studie zu Corona-Pandemie: Zu starke Lockerungen schaden auch der Wirtschaft
Weitreichende Lockerungen für die Wirtschaft – zum Preis höherer Todesfälle? Davon hätte am Ende keiner etwas, meint Michael Meyer-Hermann: „Es gibt einen optimalen Grad an Lockerungen.“ Das sei das erstaunliche Resultat der Untersuchung. Wirtschaftliche Interessen und die Gesundheit der Bevölkerung würden sich gar nicht ausschließen, erklärte der Modellierer.
„Zu harte Maßnahmen sind schlecht für die Wirtschaft und gut für die Todeszahlen. Das kann jeder nachvollziehen“, so Meyer-Hermann, „auf der anderen Seite ist es aber so, dass nach unserem Modell zu starke Lockerungen schlecht für die Todeszahlen sind, aber ebenso für die Wirtschaft.“ Würde man die derzeitigen Einschränkungen also zu schnell und weitreichend aufheben, schadete man nicht nur der Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch der Wirtschaft.
„Markus Lanz“: Modellierer Meyer-Hermann warnt vor Kita-Öffnungen
Ausgangspunkt der Studie war allerdings die Lage am 20. April. Aus Sicht des Systembiologen der Zeitpunkt mit den „perfekten Maßnahmen“. „Läden sind nämlich nicht das Problem. Das haben wir schon vorher von Südkorea gewusst“, erläuterte Meyer-Hermann. Viel riskanter seien die zuletzt umgesetzten und nun angekündigten Lockerungen: „Die Öffnung von Kitas und Schulen ist epidemiologisch gesehen ein höchst riskantes Spiel.“
Er habe zwar Verständnis dafür, dass Eltern so wieder arbeiten gehen könnten, was ja auch ein wirtschaftlicher Faktor sei. Durch die zahlreichen Kontakte von Kindern und Jugendlichen sei die Situation aber besonders heikel: „Erwachsene sind in der Lage, Abstandsregeln so einzuhalten, dass sie niemanden anstecken. Aber in einem jugendlichen Alter und bei Kitas ist es extrem schwierig.“
Experte bei Lanz: Auswirkungen der Corona-Lockerungen ab nächster Woche sichtbar
Bei der Öffnung von Kindertagesstätten könnte man beispielsweise davon ausgehen, dass ein ähnlicher Effekt eintreten würde, wie wenn sich die Haushaltsgröße einer Familie verdoppeln würde. „Dann sehen wir in den Modellen eine mehr als doppelt so große Infektionsrate“, so der Wissenschaftler.
Trotzdem müsse man nun abwarten, wie die Fallzahlen in der nächsten Woche ausfallen: „Bei dem, was seit dem 6. Mai passiert ist, tappen wir im Dunkeln“, sagte Meyer-Hermann. Wie immer mache sich der Effekt von Einschränkungen oder Lockerungen erst nach rund zwei Wochen bemerkbar. Zumindest hätten die Entwicklungen seit April zwei Schlüsse zugelassen: „Erstens: Wir können lockern, ohne dass wir völlig auf Grund gehen. Und zweitens: Das Virus reagiert, wenn wir lockern. Es ist sensitiv“, so der Systembiologe. Damit lässt sich arbeiten – und rechnen.
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