Berlin/Hamburg. In “Nagasaki - Warum fiel die zweite Bombe?“ beschäftigt sich Grimme-Preisträger Klaus Scherer mit dem Abwurf der beiden Atombomben über Japan.
Zehntausende Zivilisten - darunter viele Frauen und Kinder - starben am Vormittag des 9. August 1945, als die Atombombe "Fat Man" (Dicker Mann) über Nagasaki detonierte. Von manchen blieb nicht mehr als ein Schatten auf dem Asphalt zurück. Andere Opfer verloren sofort sämtliche Haare, um später an den Folgen der Strahlen zugrunde zu gehen. Noch heute treffen sich Überlebende, um das Geschehen bei gemeinsamem Singen irgendwie zu verwinden. Und noch heute hält sich international die These, die Entscheidung der Amerikaner, die Hafenstadt atomar zu zerstören, sei - wie drei Tage davor der viel häufiger diskutierte Abwurf von "Little Boy" (Kleiner Junge) auf Hiroshima - leider notwendig gewesen; um Japan zur Kapitulation zu zwingen und so den 1941 in Pearl Harbor begonnenen Pazifikkrieg zu beenden.
Versuchung des Krieges
Als perfide Verklärung eines Kriegsverbrechens bezeichnet das der renommierte Journalist Klaus Scherer. Der langjährige Tokio- und Washington-Korrespondent hat aufwendige Recherchen betrieben - in Archiven, bei Wissenschaftlern und bei Zeitzeugen wie dem letzten lebenden Elitecrewmitglied der B-29-Bomber. In seiner brisanten Doku "Nagasaki - Warum fiel die zweite Bombe?" am Montag um 23.45 Uhr schildert Scherer (54) zum 70. Jahrestag, dass es vielmehr der Kriegseintritt der UdSSR am 8. August war, der das ostasiatische Inselreich zur Kapitulation zwang.
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Diese Kapitulation hätten US-Präsident Truman und sein Außenminister Byrnes zuvor sogar hinausgezögert, um ein von Japan erbetenes Vermitteln ihres Konkurrenten Stalin zu verhindern. Letztlich jedoch seien beide Bomben gezündet worden, weil die Vereinigten Staaten sie von Physikern aus aller Welt in Los Alamos in der Wüste von New Mexico gerade teuer hatten entwickeln lassen.
"Auf Hiroshima fiel eine Uran-Bombe, auf Nagasaki eine Plutonium-Bombe", zitiert der 45-minütige Film den Historiker Peter Kuznick von der Washingtoner American University, "hätte es noch eine Thorium-Bombe gegeben, wären drei gefallen." Starker Tobak, zu dem Grimme-Preisträger Scherer ("Kamikaze") im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg zwei Erläuterungen liefert. "Es war die Versuchung, den Krieg allein zu entscheiden - ohne Russland. Der Kalte Krieg fing schon an, es gab sicher die Überlegung, "Russland hat die Truppen-Überlegenheit, wir haben die Wunderwaffe - das gleicht sich aus"", erklärt der Journalist. Und er fährt fort: "Doch die Historiker sagen uns auch, dass eine Eigendynamik dabei war, weil die Entwicklung dieser Bombe Milliarden gekostet hatte."
Die Opfer wurden studiert, nicht behandelt
Die Politik hätte in der amerikanischen Gesellschaft nicht rechtfertigen können, eine solche Bombe zu besitzen, aber nicht einzusetzen in dem blutigen Krieg. Damit sei Handlungsdruck entstanden. "Der militärische Leiter der geheimen Labors sprach bezeichnenderweise von einem "Test". Denn die Bombe auf Nagasaki war eine Plutonium-Bombe, sie galt als zukunftsfähig", sagt Scherer "schon allein die Art, wie sie eingesetzt wurde, unterstützt diese Schlussfolgerung - bei Tag, damit man sie fotografieren kann, begleitet von Messsonden und Geräten. Selbst die geheime Untersuchungskommission danach sollte nur die Folgen studieren, nicht die Opfer behandeln."
Direkt nach Kriegsende hätten sogar Wochenschauen, Spitzenmilitärs und Starphysiker Robert Oppenheimer eingeräumt, dass die Bomben moralisch verwerflich und militärisch unnötig waren. "Somit bieten wir in unserem Beitrag eigentlich nichts Neues", resümiert der Journalist, der dazu auch das Buch "Nagasaki. Der Mythos der entscheidenden Bombe" (Hanser-Verlag, Berlin) vorlegt, "doch die Wahrheit wurde bald darauf umgekehrt und zugedeckt."
"Beide Regierungen hätten den Krieg früher beenden können"
Amerika habe behaupten können, mit den Kernwaffen die Invasion in das Inselreich mit einer geschätzten Million toter eigener Soldaten verhindert zu haben; und dabei als Siegermacht, die Europa vom Faschismus befreit hat, seine Weste ohne Schandfleck gehalten.
Nippon, dass im Krieg zuletzt vor allem um das Überleben seines als gottähnlich betrachteten Kaisers gekämpft hatte, brauchte nach solchen Bomben bei seiner Niederlage keinen Gesichtsverlust hinzunehmen. "Die Welt wollte das gern glauben, weil es uns Erleichterung verschafft, wenn die Katastrophe irgendeinen Sinn hätte", meint Scherer. Die letzten lebenden Opfer klagen in ihren unter die Haut gehenden Erzählungen denn auch nicht allein die USA an - dem eigenen Land geben sie eine Mitschuld. "Beide Regierungen hätten den Krieg früher beenden können", sagen sie. (dpa)