Essen. Finanzminister Schäuble ist der Prügelknabe Europas. Die Schläge kommen von allen Seiten - so wie am Mittwochabend bei “Anne Will“.

Da ist es wieder, das hässliche Gesicht Deutschlands. Es trägt die markanten Züge von Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister als Zuchtmeister der Eurozone, der die Griechen und alle anderen, die nicht nach seiner Pfeife tanzen wollen, das Fürchten lehrt. So sehen den CDU-Mann nicht nur die radikalen Linken in Griechenland, sondern selbst gemäßigte Politiker in anderen Ländern Europas. Sogar in den USA steht Schäuble, der Mister No aus Germany, seit der letzten Krisenrunde in Brüssel als Symbol für die deutsche Vormachtstellung in der EU. Betreibt die Regierung Merkel tatsächlich gerade knallharten Euro-Kolonialismus, wie es Kritiker dieser Tage drastisch ausdrücken?

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ARD-Talkmasterin Anne Will ging am Mittwoch ausnahmsweise live auf Sendung. Parallel diskutierten im Parlament in Athen die Abgeordneten über das gerade erst am Montag in Brüssel geschnürte Sparpaket - in einer eiligst angesetzten Debatte, unter dem enormen Zeitdruck europäischer Fristen. Gibt es "Solidarität nur nach deutschen Regeln?" fragte Will angesichts dieser Lage in die TV-Runde. Das klare "Ja" kam aus ganz unterschiedlichen Ecken.

Etwa von Sonja Puntscher Riekmann, Politologin aus Österreich und Grünen-Sympathisantin. "Wir haben ein unglaubliches Demokratieproblem in Europa", befand die Wissenschaftlerin mit Blick auf die Situation in Griechenland. An den Griechen werde "ein Exempel statuiert". Und Deutschland spiele dabei "eine fatale Rolle". Merkel und Schäuble gehe es vor allem um "das Diktieren von Regeln". Folge sei ein "zutiefst gespaltener" Kontinent. Die politischen Oberlehrer aus Berlin, die selbstherrlich die Noten an die Partnerländer verteilen - und wer nicht spurt, wir in die Ecke gestellt.

Schäuble sei ein Holzkopf, sagt Cohn-Bendit

Dass sich Daniel Cohn-Bendit - Alt-Achtundsechziger, Linker, Grüner - an die Seite von Puntscher Riekmann stellen würde, konnte man erwarten. Wolfgang Schäuble hält er für einen "Holzkopf", dem gänzlich "die Sensibilität" für den Umgang mit Partnerländern abgehe, wenn diese mal anderer Meinung sind. Die geplante Installation eines zig Milliarden Euro schweren Treuhandsfonds für griechisches Staatseigentum - das letzte Tafelsilber Athens - ist für Cohn-Bendit "eine Beleidigung" der Griechen: "Deutschland will Griechenland enteignen."

Soweit die linke Ecke. Überraschend ist, dass Schäuble seit dem 17-stündigen Verhandlungs-Marathon auch von konservativen Experten Prügel bezieht -allerdings mit ganz anderer Zielrichtung als etwa Cohn-Bendit.

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"Wolfgang Schäuble ist auf halbem Weg stehengeblieben", urteilte der Frankfurter Wirtschaftsjournalist Rainer Hank. Er glaubt: Der vom Bundesfinanzminister in Brüssel mehr oder minder offen auf den Tisch gelegte Plan für einen Ausstieg Athens aus der Eurozone sei "ein humanes Angebot" an den griechischen Premier Tsipras gewesen. Humaner jedenfalls als die jetzige Situation in Griechenland. Hanke: Ein nationales Parlament wird gedemütigt. Wir erleben die Entmachtung nationaler Souveränität."

Die undankbare Rolle des Schäuble-Verstehers gab in dieser Runde der Staatssekretär des Ministers, CDU-Mann Jens Spahn. Doch er hätte es besser gelassen. Spahn räsonierte hilflos über ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten", pochte darauf, geschlossene Verträge müssten eingehalten werden, mahnte die "Bereitschaft zu Veränderungen" in Athen an. Schäuble habe gar nicht anders gekonnt, als Druck zu machen, schob Spahn schlapp nach. Solch einen schwachen Verteidiger hat selbst Wolfgang Schäuble nicht verdient.

In dieser Nacht war Tsipras nicht der böse Bube

Um Mitternacht - zur Geisterstunde - schaltete Anne Will dann noch einmal nach Athen, wo Alexis Tsipras um seine Regierung kämpfte. Hätte der Premier bei "Anne Will" reingeschaut, er hätte sicher seine Freude gehabt: Endlich ist er mal nicht der böse Bube im Spiel. Diese Rolle spielt nun Wolfgang Schäuble.