Köln. . Der TV-Tausendsassa hielt Wort. Er geht, bevor er 50 wird. Der ProSieben-Entertainer polarisierte – und war unglaublich kreativ. Ein Rückblick.
Der Mann ist fast beängstigend konsequent. „Ich kann mir nicht vorstellen, mit 50 noch Fernsehen zu machen“, vertraute Stefan Raab „Spiegel TV“ bereits 1998 an. Der Spruch des kölschen Entertainers wirkte jeck. Denn er kündigte seine Pensionierung an, noch ehe seine Karriere begonnen hatte. Doch der 48-Jährige hielt doppelt Wort. Er machte eine einzigartige Karriere – und zum Jahresende verlässt er seinen Haussender ProSieben. Raab will sich, mehr noch, ganz vom Bildschirm zurückziehen. Das ist mehr als eine Sender-Personalie. Wenn Raab Frührentner wird, geht eine Ära zu Ende: die goldene TV-Ära.
In Deutschland ist sie untrennbar mit dem Erfolg des Privatfernsehens verbunden. Private Anbieter boten in den beiden Jahrzehnten vor und nach der Jahrtausendwende das, was bei den Öffentlich-Rechtlichen fehlte: junges Programm. Der Münchner Kanal ProSieben hatte sich derart gut auf die Zielgruppe des Publikums unter 50 spezialisiert, dass er als Jugendfernsehen schlechthin galt. Erfolgsrezept: ProSieben war Stefan Raab, und Stefan Raab war ProSieben.
Eine Hassliebe zum ESC
Als der Rotblonde mit schier endloser Gebissleiste 1999 bei ProSie-ben anheuerte, war er keineswegs ein Nobody. Der junge Wilde hatte sich schon einen Namen als Radio-Stimme, Viva-Moderator und Musik-Comedian gemacht. Der Autodidakt landete etliche eigene Hits. Darunter befand sich mit „Guildo hat euch lieb“ ein Stück, das Raabs Hassliebe zum Eurovision Song Contest (ESC) offenbarte und zugleich seinen unbedingten Willen zum Erfolg. Guildo Horn schlagerte sich immerhin auf Platz sieben. Im Jahr 2000 trat Raab selbst mit dem Nonsens-Song „Wadde hadde dudde da“ an. Es langte für Platz fünf.
Sein Meisterstück aber machte Raab vor fünf Jahren. Er entdeckte ein rehäugiges Mädchen mit mäßiger Stimme, aber überragender Ausstrahlung: Lena Meyer-Landrut. Lena kam zum ESC nach Oslo, sang und siegte. Danach machte ihr Mentor den wohl einzigen schweren Fehler in seiner Karriere: Er schickte Lena 2011 erneut ins Rennen. Sie konnte nur scheitern. Immerhin wirkten Raabs Beiträge zum ESC wie eine Vitaminspritze für einen siechen Patienten. Kein Einzelfall.
Der gelernte Metzger präsentierte so schnell neue Ideen, wie Profis Bratenscheiben schneiden. Dazu gehört „TV total“ – ein seit 1999 bestehender Mix aus Spätabend-Plauderei und Krawall-Comedy. Dann kamen Raabs Antworten auf Castingshows, darunter der „Bundesvision Song Contest“. Zuletzt schipperte der Moderator in zutiefst öffentlich-rechtliches Gewässer: Mit „Absolute Mehrheit“ versuchte er, dem Genre Polit-Talk einen Schuss wettbewerbsorientierter Unterhaltung zu verpassen. Das Format war ein Versprechen, das der konservative Rebell beim Kanzlerduell vor der Bundestagswahl 2013 mit cleveren Fragen einlöste.
Ein Watschenmann, den es zu besiegen galt
Raabs größte Leistung aber ist die Show „Schlag den Raab“, die seit 2006 Maßstäbe in der Unterhaltung setzt. Der Gastgeber fängt da an, wo „Spiel ohne Genzen“ aufhört. Aber weit mehr lebt die Sause davon, dass der Herausforderer offensiv mit seinem polarisierenden Image umgeht und sich als Watschenmann anbietet, den es zu besiegen gilt. Er hat meist das bessere Ende für sich.
Das gilt auch hinter den Kulissen. Raab entwickelte sich zu einem Zampano, bei dem sein Sender quasi Blankoschecks ausstellte. Auch jetzt lag Raab ein attraktives Angebot vor. Indes, er mochte nicht mehr. Instinktiv hatte er den perfekten Zeitpunkt für einen Abgang gefunden. Der TV-Titan weiß, dass das Internet das neue Fernsehen wird. Er will nicht als Berufsjugendlicher enden, der nur noch Mitleid erntet.