Köln. . Die Luxemburgerin Léa Linster ist ein absoluter Genuss-Mensch. Obendrein hält sich die bald 60-jährige Sterne- und TV-Köchin für ein Glückskind.

Es ist verrückt. Da gewinnt eine Frau als erste und bisher einzige den berühmtesten Kochpreis der Welt, den Bocuse d’or – und in Deutschland nimmt es kaum jemand wahr. Doch kaum ist die Dame Jurorin in einer Fernsehshow, da kennt sie alle Welt. Die Frau, um die es geht, heißt Léa Linster. Die luxemburgische Sterne-Köchin wird in diesem Monat 60 Jahre alt. Im Rückblick sagt sie dankbar: „Mir wurden viele Träume erfüllt.“

November 2013. Sat.1 hat das Konzept der Musikshow „The Voice“ aufs Kochen übertragen. Bei „The Taste“ soll es nicht um Mätzchen am Herd gehen, sondern nur um den guten Geschmack. Zu einer Castingshow gehört eine Jury. Dort sitzen die üblichen Verdächtigen: Alexander Herrmann, Tim Mälzer, Frank Rosin. Offenkundig orientieren sich die Herren am Vater aller Castingshows: Dieter Bohlen. Ihr Ton ist oft rustikal. Gott sei Dank gibt es unter den Küchen-Bullen eine Dame, die wie Mutter der Kompanie wirkt. Léa Linster herzt die Kandidaten, fördert, lobt.

Wer ist Léa Linster?

Am 27. April 1955 kommt sie in Differdange zur Welt, direkt an der französischen Grenze. Léa Linsters Vater betreibt ein Café nebst Tankstelle im nahen Ort Frisange. Sie ist das dritte von insgesamt vier Kindern. Dass Léa Linster ihrem Vater Emile in die Gastronomie folgte, ist kein Zufall, sondern unausweichlich. Sie liebt Düfte. Geranien, Mandarinenschalen, frische Backwaren. „Ich liebe“, gesteht Léa Linster schwärmerisch, „den Geruch von frischen Brioche, wenn sie direkt aus dem Ofen kommen. Dann heißt es immer: Du darfst sie noch nicht aufschneiden. Ich schneide sie aber trotzdem auf und vergrabe mein Gesicht darin.“

Das Café der Eltern lag strategisch günstig

Das Kochen ist für sie Passion. Wer mit ihr spricht, spürt die Lust auf sinnliche Genüsse in Töpfen und Terrinen. „Ich glaube, der gute Geschmack wurde mitgeliefert, als ich zur Welt kam“, erzählt die Meisterköchin augenzwinkernd. Sie setzt noch einen drauf: „Ich glaube sogar, erst gab’s den Geschmack, und dann wurde das Mädchen drum herum gemacht.“

Emile Linsters Restaurant liegt strategisch günstig, nicht nur an der Grenze zwischen dem kleinen Großherzogtum und Frankreich, sondern, viel wichtiger, an der Urlaubsroute zwischen Deutschland und der belgischen Nordseeküste. Familie Linster profitiert vom Wirtschaftswunder und von der Reisefreiheit in der jungen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die längst von der EU beerbt worden ist. Die Linsters verpflegen Touristen beim Tankstop mit Hausmannskost, Schinkenbroten oder, wenn’s warm sein soll, deftigen „Kniddelen“, Mehlknödel.

Das Geheimnis der „Kniddelen“

Genau das war das erste Gericht, das die zehnjährige Léa selbst zubereitet: „Bis ich endlich die richtige Konsistenz des Teigs heraushatte, waren immerhin zwei Dutzend Eier und zwei Kilo Mehl verarbeitet.“ Die heiße Ware ist im Nu vergriffen. „Die Leute haben über mich geschmunzelt und sich alle unterhalten. Und da habe ich etwas Wesentliches begriffen: Bei Tisch redet sich gut.“ Léa Linster zieht daraus die Konsequenz, dass eine gute Gastronomin auch eine gute Gastgeberin sein muss.

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Eine weitere, mindestens genauso wichtige Einsicht hat sie bereits als kleines Kind. Léa Linster spürt, dass der Gastraum eine Show-Bühne ist. Gutes Essen will gut präsentiert sein. Kein Wunder, dass Vater Emile strahlt, als seine Tochter auf die Frage, was sie später machen will, sagt: „Wenn ich groß bin, dann soll die Tür von der Küche zum Saal aufgehen, und alle Gäste sollen sagen: Aaah, seht nur, da kommt sie!“

Erst mal Jura studiert

Doch Léa Linster erkennt ihre Berufung nach dem Abi nicht sofort. Stattdessen studiert sie mäßig begeistert Jura. Papa-Kind Léa erkennt ihre Bestimmung erst in dem Moment, als ihr Vater 1981 stirbt. „Mein Vater“, erinnert sie sich, „hat mit mir nie explizit über seine Nachfolge gesprochen, und doch bestand zwischen uns die unausgesprochene Übereinkunft, dass ich mich um alles kümmern würde.“

Léa Linster nimmt die Herausforderung mit beeindruckender Konsequenz an. Nur zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters hält sie ihr erste Urkunde in der Hand: den Grand Prix Mandarine Napoléon. Sechs Jahre später ist es sogar der berühmte Bocuse d’or. Léa Linster, allein unter Männern, gewinnt den Wettbewerb – trotz widriger Bedingungen. Sie leidet an einer Augen-Entzündung. Doch ein deutscher Kollege ermutigt sie: „Du hast dieses schreckliche Auge und jammerst nicht, machst noch Späße und gibst uns allen Kraft.“ Das hat Léa Linster nie vergessen – nicht mal in der Koch-Show „The Taste“.

Léa Linster mit Kerstin Holzer: „Mein Weg zu den Sternen“, Kiepenheuer & Witsch, 18,99 Euro