Essen. Regiemeister Robert Carsen kann große Bilder auf die Bühne bringen. Das bewies er nun erneut bei der “Jenufa“-Premiere im Essener Aalto-Oper. Die Inszenierung wurde erstmals vor 15 Jahren an der belgischen Vlaamse Opera aufgeführt. Die bewegenden Themen des Stücks: Kindsmord und Frauenverstümmelung.

Der Bühnenraum besteht ausschließlich aus Türen und könnte trotzdem auswegloser nicht sein. Wer aus dem moralstarren System dieser Gemeinschaft ausbrechen will, wird geächtet. Regisseur Robert Carsen und Ausstatter Patrick Kinmonth finden starke Bilder, um „Jenufa“, die große Oper von Leos Janacek, in Essen zu inszenieren.

Der tschechische Komponist Janacek (1854-1928) hat mit seiner „Jenufa“ die Sozialstudie einer Provinzgesellschaft zum erfolgreichsten Musiktheaterstoff des 20. Jahrhunderts gemacht. Die Themen Kindsmord und Frauenverstümmelung haben biblische Wucht.

Inszenierung ist 15 Jahre alt

Doch der kanadische Meisterregisseur Robert Carsen aktualisiert die Geschichte um die unehelich schwangere Jenufa und ihre Stiefmutter, die Küsterin, nicht, obwohl es dafür heute viele Anlässe gäbe. Er kontert die Brisanz des Dramas stattdessen mit einer geradezu oratorienhaften Verortung des Personals in den 1950er-Spießerjahren. Die Bilder sind schlicht, ergreifend und für viele Bühnenmaße übersetzbar. Das müssen sie auch sein, denn Carsens „Jenufa“ ist weit gewandert. Erstmals gezeigt wurde sie vor 15 Jahren in Antwerpen, dann in Straßburg – Weltoper als Franchise-Unternehmen sozusagen. Entsprechend verzichtet Carsen darauf, sich dem Premierenjubel des Publikums im nicht ausverkauften Aalto-Theater auszusetzen.

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Die Küsterin ist die Schlüsselfigur. Im hinterwäldlerischen Mikroklima hat sie, da klüger und frömmer als die anderen, eine herausgehobene Stellung. Sie weiß, dass sie ihr Seelenheil verwirkt, wenn sie das ungewollte Enkelchen ertränkt. Aber die Angst vor der Schande ist stärker. Katrin Kapplusch kann die Abgründe dieser gefährlichen Frau nicht nur spielen, sie kann sie vor allem singen: mit einem wunderbaren Sopran, der mühelos über das Orchester kommt und in vielen Farben und Zwischentönen Bigotterie und Schuld spiegelt.

Auch sonst ist die Besetzung gut: Sandra Janusaite legt die Titelpartie mit mädchenhaftem Sopran an und findet am Ende auch zur großen Geste. Alexey Sayapin ist als Stewa ein verwöhntes Söhnchen, das die Frauenherzen mit seinem schön timbrierten lyrischen Tenor bricht. Und Tenor Jeffrey Dowd kann den Charakter des immer zu kurz gekommenen Lacas mit allem Hass und aller Sehnsucht interpretieren.

Weiße Türen auf nackter Erde

„Jenufa“ ist das zweite Essener Operndirigat des neuen Generalmusikdirektors Tomas Netopil. Er findet mit den Essener Philharmonikern viele Kostbarkeiten in der Partitur: den Volkston, das ängstliche Herzklopfen der Streicher und das süße Lied der Holzbläser. Aber man vermisst den über die Einzelszene hinausweisenden schwelgerischen Spannungsbogen. Der großartige Opernchor stellt jedoch die stets zu Vorverurteilungen bereite Nachbarschaft eindrucksvoll dar.

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Die weißen Türen im Schwarzraum der nackten Bühne sind Gefängnis und Waffen zugleich. Sie stehen auf einer schiefen Ebene aus Dreck, unfruchtbarer Erde, denn in diesem System aus Enge und Kontrolle will und kann nichts gedeihen. Doch am Ende finden sich die Außenseiter Jenufa und Laca zum Paar. Erlösender Regen fällt. Das ist ein Schlussbild, dessen Macht auch nach 15 Jahren noch berührt.

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