Kopenhagen. . Der Grand Prix ist einst entstanden, um ein Signal gegen den Kalten Krieg zu setzen. Doch der schwelende Ukraine-Konflikt wirft seine Schatten auf den ESC. Zugleich wird ein Millionen-Finanzloch bekannt. Und dann explodiert auch noch eine Würstchenbude.

Offenbar hat Nikolaj Koppel geahnt, dass jetzt etwas Unerfreuliches passiert. Der sonst so lockere Moderator beißt sich auf die Lippen und holt kurz Luft, bevor er Russlands Finaleinzug beim Eurovision Song Contest (ESC) verkündet. "Next Country is Russia - La Russie." Jubel, Trubel, Heiterkeit im Publikum. Die blonden Zwillinge Anastasia and Maria Tolmatschewy hopsen vor Freude.

Dann die Wende. Buhrufe und Pfiffe dominieren sehr lang wirkende zehn Sekunden die Stimmung im Saal und vor Millionen TV-Bildschirmen in Europa. Co-Moderator Pilou Asbæk versucht erst, die Proteste wegzulächeln. Dann sagt er sanft, aber energisch: "Wir gehen dann zum vierten Land über." Der Vorfall vom Dienstagabend zeigt, dass die Weltpolitik nicht vor dem Fest der Freude haltmacht.

Irgendwie hatten vor Beginn des ESC 2014 alle eine perfekte Party in Kopenhagen erwartet. Das ging soweit, dass ein Witzfilmchen von Pilou Asbæk den Zuschauern nahelegte, die dänische Hauptstadt sei ein Potemkinsches Dorf aus lauter aufgehübschten Kulissen und man hole sogar eigens Statisten, um mit Tricks Misthäufchen auf der Straße zu verdecken. Leider taucht jetzt wirklich das ein oder andere Häufchen auf. Das erste: Die Schwulenfeindlichkeit in weiten Teilen Europas, die sich an Teilnehmern wie dem Österreicher Conchita Wurst entzündet. Zweites Häufchen: Das Finanzloch. Drittes Häufchen: Die Ukraine-Krise.

Finanzielle Probleme im ESC-Gastgeberland

Conchita Wurst bei den Vorbereitungen. Er tritt für Österreich an.
Conchita Wurst bei den Vorbereitungen. Er tritt für Österreich an. © dpa

Dass der russische Politiker Vitalo Milonow in der britischen Zeitung "Guardian" den Auftritt des Travestie-Sängers Conchita Wurst als "himmelschreiende Propaganda von Homosexualität und spirituellem Niedergang", bezeichnete, mag an dem Österreicher abperlen. Dass der diesjährige ESC-Favorit Aram Sargsyan mit den Worten zitiert wurde, er werde es "irgendwie ertragen" müssen, neben diesem Künstler aufzutreten - und man könne Wurst hoffentlich helfen, "sich zu entscheiden, ob sie eine Frau oder ein Mann ist" - dürfte da schon mehr Porzellan zerschlagen haben. Sargsyan hat sich bei Wurst entschuldigt und beteuert, man habe ihn schlicht falsch übersetzt.

Diese Woche wurde dann bekannt, dass im Finanzetat der Stadt für die Schlagershow ein Loch klafft - angeblich kostet der Umbau der Werftanlagen zum glamourösen ESC-Schauplatz schon jetzt fast 23 Millionen dänische Kronen (rund drei Millionen Euro) mehr als geplant. Das will die Zeitung "Metroxpress" aus einem vertraulichen Papier der Hauptstadtregion wissen. In dem Dokument werde das auch mit "Mehraufgaben für Sicherheit" erklärt - "unter anderem aufgrund der Situation in der Ukraine". Merkwürdig nur: Die Kopenhagener Polizei sieht gar keine zusätzliche Bedrohung durch die Krise in Osteuropa, wie ein Sprecher der dpa bestätigte.

Würstchenbude explodiert

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Als ob das nicht genug wäre, jammern ausländische Journalisten über die schwere Zugänglichkeit der Hallen, mieses Essen und lange Schlangen vor den Toiletten. "Das hier ist definitiv das größte Arenafiasko, das ich bei Eurovision erlebt habe, seit ich 2006 in Athen angefangen habe", schreibt Tobbe Ek in seinem Blog für die schwedische Boulevardzeitung "Aftonbladet". Was im Fernsehen vielleicht gut aussehe, sei "die reine Hölle" für Zuschauer, Künstler und Presse. Ein Scheinwerfer, der die Schwedin Sanna Nielsen während ihrer Probe am Montag blendete, provozierte weiteren Unmut unter Schwedens ESC-Reportern.

"Guardian"-Kritiker Michael Booth bat den dänischen Spitzenkoch René Redzepi derweil über Twitter, ihm etwas Essbares ins Pressezentrum zu bringen: "Das Essen hier ist schrecklich." Eine Alternative zum ungeliebtem Smørrebrød löste sich buchstäblich in Luft auf. Eine Würstchenbude auf dem Eurovision-Gelände explodierte nämlich am Montag bei einem Unfall mit einer Gasflasche. Ein Mann, der an der Bude arbeitete, wurde mit leichten Verbrennungen ins Krankenhaus gebracht. Die Auslandspresse wird wohl weiter über das Essen maulen. (dpa)

Sie sind im Finale dabei

Platz 1: Conchita Wurst für Österreich mit
Platz 1: Conchita Wurst für Österreich mit "Rise Like a Phoenix". Das hätte auch ein Bond-Titelsong sein können, und die Stimme war beeindruckend. 290 Punkte. © dpa
Platz 2: The Common Linnets sangen
Platz 2: The Common Linnets sangen "Calm After The Storm" für die Niederlande. Es klang, als hätten June Carter und Johnny Cash "Every Breath You Take" von Police gesungen. 238 Punkte. © Getty Images
Platz 3: Sanna Nielsen, Schweden, wandelte mit ihrem Lied
Platz 3: Sanna Nielsen, Schweden, wandelte mit ihrem Lied "Undo" auf den Spuren von Celine Dion. 218 Punkte. © dpa
Platz 4: Aram MP3 aus Armenien mit
Platz 4: Aram MP3 aus Armenien mit "Not Alone". Ein bisschen Dracula, ein bisschen Rammstein für Vorsichtige. 174 Punkte. © Getty Images
Plazu 5: Andras Kallay-Saunders (Ungarn) mit
Plazu 5: Andras Kallay-Saunders (Ungarn) mit "Running". Thema Kindesmisshandlung, und das wurde auf der Bühne auch noch tänzerisch dargestellt. 143 Punkte. © Getty Images
Platz 6: Maria Yaremchuk (Ukraine) mit
Platz 6: Maria Yaremchuk (Ukraine) mit "Tick-Tock". Ein Mann lief dazu im Hamsterrad. Musste er den Strom für die Windmaschine erzeugen? 113 Punkte. © dpa
Platz 7: Direkt hinter der Ukraine die Russinnen
Platz 7: Direkt hinter der Ukraine die Russinnen "Tolmachevy Sisters" mit "Shine". Wie so viele Acts hatten auch sie ein Sportgerät auf der Bühne - eine Wippe. 89 Punkte. © dpa
Platz 8: Der Norweger Carl Espen mit
Platz 8: Der Norweger Carl Espen mit "Silent Storm". Das klang so traurig, dass auch das Publikum Mitleid bekam. Wenn es ganz leise wurde, gab es Szenenappalus. 88 Punkte. © dpa
Platz 9: Bassim vertrat das Gastgeberland Dänemark: Sein
Platz 9: Bassim vertrat das Gastgeberland Dänemark: Sein "Cliche Lovesong" erinnerte an die besseren Zeiten von Take That. 74 Punkte. © dpa
Platz 10: Ruth Lorenzo aus Spanien mit 'Dancing in the Rain'. Echter Regen von der Hallendecke, aber warum singt eine Spanierin englisch? 74 Punkte.
Platz 10: Ruth Lorenzo aus Spanien mit 'Dancing in the Rain'. Echter Regen von der Hallendecke, aber warum singt eine Spanierin englisch? 74 Punkte. © Getty Images
Platz 11: Finnland. Die Band Softengine spielte
Platz 11: Finnland. Die Band Softengine spielte "Something Better", das auch von den "Killers" sein könnte. 72 Punkte. © dpa
Platz 12: Rumänien. Paula Seling & OVI mit dem Song
Platz 12: Rumänien. Paula Seling & OVI mit dem Song "Miracle". OVI spielte auf einem kreisrunden Klavier. Das Tolle daran: Es spielte auch ohne ihn weiter. 72 Punkte. © dpa
Platz 13: Sebalter aus der Schweiz mit
Platz 13: Sebalter aus der Schweiz mit "Hunter of Stars". Weißes Hemd, schwarze Weste und Geige - damit wurden auch schon ESCs gewonnen. Hier aber nur: 64 Punkte. © dpa
Platz 14: Donatan & Cleo repräsentierten Polen mit
Platz 14: Donatan & Cleo repräsentierten Polen mit "My Slowianie - We are Slavic". Satire im Text, Softporno am Bühnenrand. 62 Punkte, davon 10 aus Deutschland. © dpa
Platz 15: Pollapoenk aus Island und ihr Lied
Platz 15: Pollapoenk aus Island und ihr Lied "No Prejudice". Eine fröhliche Punk-Nummer, vorgetragen von den bestangezogenen Herren des Abends. 58 Punkte. © dpa
Platz 16: Weißrusslands Ricky Martin heißt Teo. Sein Latin-Beitrag
Platz 16: Weißrusslands Ricky Martin heißt Teo. Sein Latin-Beitrag "Cheesecake" bekam 43 Punkte. © dpa
Platz 17: Molly aus Großbritannien hätte ihren Song
Platz 17: Molly aus Großbritannien hätte ihren Song "Children of the Universe" auch für den Soundtrack von "Mad Max 2" einspielen können. 40 Punkte. © dpa
Platz 18: Elaiza aus Deutschland mit
Platz 18: Elaiza aus Deutschland mit "Is it right". Sympathische Frauen, aber ein kraftloser Auftritt. 39 Punkte. © dpa
Platz 19: Sergej Cetkovic, aus Montenegro mit
Platz 19: Sergej Cetkovic, aus Montenegro mit "Moj Svijet". Flötentöne wie im "Titanic"-Soundtrack. Und einer der wenigen, der noch in Landessprache singt. 37 Punkte. © Getty Images
Platz 20: Freaky Fortune feat. RiskyKidd sind der Beitrag Griechenlands. Eine Eurodance-Nummer mit den Posen der Neunziger - und einem Trampolin auf der Bühne! 35 Punkte.
Platz 20: Freaky Fortune feat. RiskyKidd sind der Beitrag Griechenlands. Eine Eurodance-Nummer mit den Posen der Neunziger - und einem Trampolin auf der Bühne! 35 Punkte. © dpa
Platz 21: Emma aus Italien sang das rockige
Platz 21: Emma aus Italien sang das rockige "La Mia Città". Gianna Nannini ließ grüßen. 33 Punkte. © dpa
Platz 22: Dilara Kazimova Aserbaidschan sang
Platz 22: Dilara Kazimova Aserbaidschan sang "Start A Fire". Trotz Trapezartistik hoch über der Bühne nur: 33 Punkte. © dpa
Platz 23: Firelight aus Malta, die mit dem folkigen
Platz 23: Firelight aus Malta, die mit dem folkigen "Coming Home" antraten. 32 Punkte. © dpa
Platz 24, der drittletzte: Valentina Monetta aus San Marino mit
Platz 24, der drittletzte: Valentina Monetta aus San Marino mit "Maybe". Sie stand in einer Muschel, am Klavier saß das ESC-Urgestein Ralph Siegel. 14 Punkte. © Getty Images
Platz 25: Tinkara Kovac aus  Slowenien mit Querflöte und
Platz 25: Tinkara Kovac aus Slowenien mit Querflöte und "Round and around". Eine Mischung aus Königsdrama und Jethro Tull. 9 Punkte. © dpa
26 Platz: Twin Twin aus Frankreich verbreiteten mit ihrem Song
26 Platz: Twin Twin aus Frankreich verbreiteten mit ihrem Song "Moustache" und einer lebhaften Choreographie gute Laune. Europa dankte es ihnen mit dem letzten Platz - 2 Punkte. © dpa
Und das waren die Moderatoren: Pilou Asbaek, Lise Ronne and Nikolaj Koppel.
Und das waren die Moderatoren: Pilou Asbaek, Lise Ronne and Nikolaj Koppel. © Getty Images
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