Oberhausen. . Das Theater Oberhausen und die Folkwang-Universität zeigen Stephen Sondheims Erfolgsstück „Into the Woods“: Grimms Märchenfiguren verwandeln sich hier in Menschen aus Fleisch und Blut, mit Sehnsüchten und Begierden.

Ein Paar, das möcht’ ein Kind. Eine Stieftochter, die möcht’ so gern zum Ball. Ein Mädchen, das möcht’ zur Großmutter.

Es war einmal: „Ich möcht’“!

Aus einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, entspringen die Figuren in Stephen Sondheims Erfolgsmusical „Into the Woods“. 1987 am Broadway uraufgeführt, erfährt der schaurig-schöne Reigen in diesem Jahr die Verwandlung zum Disney-Weihnachtsfilm, mit Meryl Streep als Hexe und Johnny Depp als Wolf.

Zuvor aber verzaubert das Theater Oberhausen seine Zuschauer – in geradezu märchenhafter Kooperation mit der Folkwang Universität der Künste. Oberhausens Intendant Peter Carp führt Regie, die Essener Professoren Patricia M. Martin und Michael David Mills lassen Studierende aufspielen; auf der Bühne stehen Schauspieler und Musical-Studierende. Wer braucht Musical-Paläste, der solche Stadttheater hat?

Es war einmal: die Hex’

Ein Trailerpark ist Heimat jener Märchengestalten, die im Wald ihr Glück zu finden hoffen. Mit dem hymnisch vorgetragenen Chor „Ab in den Wald!“ schwärmen sie aus zwischen säulengleiche Baumstämme (Bühne: Caroline Forisch).

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Auch im munteren Musical-Mix darf man sich darauf verlassen, dass bei der bösen Hex’ (Karina Schwarz) alles Grimm’sche Drama seinen Ursprung hat: Sie hat das Bäckerpaar zur Kinderlosigkeit verflucht, weil ihr selbst einst die Rapunzeln aus dem Garten gestohlen wurden (und: genau, ein Mädchen in den Turm gesperrt). Nun müssen der Bäcker und seine Frau ihr bringen: ein rotes Cape, eine weiße Kuh, eine kornfarbene Haarsträhne, einen goldenen Schuh.

Alsbald also jagen sie Aschenputtel (Inga Krischke) und Rotkäppchen (Vera Weichel), feilschen mit Hans (Richard-Salvador Wolff) um dessen weißes Rindvieh und zerren an Rapunzels (Anna Winter) Zopf. Während der Wolf und die Prinzen (Jan Bastel in Doppelrolle, Merlin Fargel) das Hohelied der Liebe singen, ein von Homoerotik nicht freies Duett in frivol glänzenden Anzügen (Kostüme: Sebastian Ellrich).

Es war einmal – die Ironie: Auch im Schmelz und Jubel der Musik leuchten Klang gewordene Fingerzeige auf, Erinnerung an all die Heldenreisen und Glücksverheißungen der großen Musical-Sagas. Doch schon zu Beginn, wenn der Erzähler (Jürgen Sarkiss) im holzgetäfelten 50er-Jahre-Alptraum hockt, ahnen wir, dass dieser herrliche Märchenwald alsbald gerodet wird.

Die Tücke der Wünsche

„Ich möcht’“ – aber wissen wir, was wir uns wirklich wünschen? Stephen Sondheims Vision führt im zweiten, düsteren und weit klang­ärmeren Teil ins Dickicht des Unterbewusstseins, um den Preis kurzzeitiger Unübersichtlichkeit. Aschenputtels Prinz ist ein selbstverliebter Hallodri, die Bäckersfrau (Yvonne Forster) sehnt sich nach einem größeren Haus und fremderen Küssen – und schon ist viel los auf dem Moos.

Derweil das Rotkäppchen einen Mantel aus Wolfspelz trägt, ein Pelz, auf den so schnell kein Mann ihr mehr rücken soll. Und die Hexe ist zwar wieder jung und schön, mehr Zauber aber bleibt ihr auch nicht. Dass dann noch eine todbringende Riesin ins Spiel kommt, ist einer himmelhohen Bohnenstange und der niederen Habgier des jungen Hans geschuldet – aber nur, weil Rotkäppchen sich nicht die Bohne für ihn interessiert.

Mord und Totschlag im Märchenreich, Lug und Betrug im Zauberland: mit Riesenschritten geht’s ins Verderben. „Ab in den Wald!“ singt der Schlusschor voller dunkler Untertöne – und weckt uns aus einem herrlichen, aufregenden Frühlingsnachtstraum.