Gronau. . Über 100 Jahre lieben die Deutschen ihre Schlager. Jetzt widmet ihnen ausgerechnet das Rock’n’Pop-Museum in Gronau eine Ausstellung. Die Schau zeigt die Sonnenbrille von Zarah Leander, Klaus Lages Lederjacke – und setzt so manchen Ohrwurm frei.

Als das „Neue Fremdenblatt“ sich zu der Schwärmerei hinreißen ließ, „die Eröffnungsnummer der zweiten Abteilung“ sei „ein entschiedener Schlager“, ahnte es ja nicht, was man später darunter verstehen wollte.

Das war 1867. Das erste dokumentierte Mal, dass vom Schlager die Rede ist. Johann Strauss stellt seinen Walzer „An der schönen blauen Donau“ vor. Ein Schlager? Text der Ursprungsfassung für einen Wiener Gesangverein: „Wiener, seid froh!“ (Bässe), „Oho, wieso?“ (Tenöre). War also auch nicht alles Gold. 100 Jahre später heißt das „Tiritomba“, „dudel dudel jedulo“, „Hossa“, „Karamba“, „Hölle“.

Dass es der deutsche Schlager bis ins Museum geschafft hat, darf man 2014 als Ehrenrettung verstehen. Soziologen bestätigen ja nur, was die meisten wussten: Der Schlager ist einer von uns, blickt in die Seele wie Sigmund Freud. Und dann eignet ihm auch noch diese unerhörte Jedermannsgefälligkeit, Macht per Masse also. Selbst seine Feinde können auswendig mitsingen, wenn „unser Oma ihr klein...“ (na?) nach Verflüssigung ruft. Schuld war nur nicht der Bossa Nova. Der Schlager und seine Macher, sie haben früh erkannt, was der Mensch zweifelsfrei braucht – „ein bisschen Paloma“, um es mit dem weisen Roger Whittaker zu sagen.

Familienfreundliches Lehrstündchen aus Schubidu und Schalala

Es ist durchaus eine Kunst, diese Erfolgsgeschichte ohne Gemeinheit und Naserümpfen zu erzählen. Dass sie ausgerechnet im Rock’n’Pop-Museum zu Gronau läuft, tut ein Übriges. Man wird halt milder im Alter. Charlie Watts ist ja bloß drei Jahre jünger als Heino. Und würde der berühmteste aller Gronauer, Udo Lindenberg, heute noch neidisch im Sonderzug nach Pankow fahren, nur weil „all die ganzen Schlageraffen“ vor Honni singen durften? Auch der kalte Krieg der U-Musik ist ja irgendwie vorbei.

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„100 Jahre deutscher Schlager“ ist keine Riesenschau, aber in sieben Entdeckerwelten ein hübsch familienfreundliches Lehrstündchen aus Schubidu und Schalala. Die rüstige Uroma möchte verharren vor Zarah Leanders Sonnenbrille. Gleich ums Eck wird daran erinnert, dass 16 Millionen Radios ab 1933 Propaganda und Populärkultur meisterlich legierten.

Und wie alt die Themen sind! Nein, Michelle („Ich weiß, dass man so was nicht tut“) hat die tanzbare Schlüpfrigkeit nicht erfunden. 70 Jahre zuvor sang man „Wenn ich mir nur Fanni abgewöhnen könnte“. Und dann Reisesehnsucht und der sich mit ihr blähende Schlagerglobus: Erst genügte ein Besuch bei der Fischerin vom Bodensee, später musste es dann schon Mendocino sein, was bekanntlich an der Straße nach San Fernando liegt.

Den immerwährenden Vorwurf, der Schlager sei in der Bedudelungsindustrie der Gipfel der Verdummung, kann man aufgrund erdrückender Beweise nicht restlos wegmusealisieren. Mal regiert erotische Orientierungslosigkeit („Wir zwei fahren irgendwo hin“), dann führen schiefe Metaphern aus dem Tierreich („..sagt die Biene zu dem Stachelschwein“) Herz und Hirn in die Irre. Doch auch ehrenwerte Versuche, Drogentod („Conny Kramer“) und Homosexualität („Mike und sein Freund“) politisch korrekt zu verschlagern, stellt man in Gronau vor. Zur Rehabilitierung ebenfalls tauglich: der genial-kabarettistische Schlagerbiss der 1920er. Nie kam er wieder.

Scheußlichschöne Texte

Wer schnell durch die Schau schreitet, kommt im Katzensprung von der „Schwarzwaldfahrt aus Liebeskummer“ zum Plüschtierthron von Dieter Thomas Kuhn, dazwischen: die berühmte Uhr von Hecks Hitparade. Und überall die scheußlichschönen Texte: Erst wollte sie niemals auseinandergehn, dann ‘nen Cowboy als Mann, er dagegen schwarzbraune Haselnüsse oder die Beine von Dolores. Man lacht über den Quatsch – und hat ihn bei der Rückfahrt noch bis weit hinter Ochtrup im Ohr.

100 Jahre deutscher Schlager. Bis 27. April, dann erneut vom 16. Mai bis 7. September. Rock’n’Pop-Museum Gronau, Udo-Lindenberg-Platz 1, Mi bis So 10-18 Uhr. 02562-81480.

Götz Alsmann spricht für den Audio-Guide der Ausstellung die Texte der einzelnen Stationen. Anregender Katalog zum Thema: Telos Verlag, 166 S., 16,90€.